Abstract (deu)
In den letzten Jahren des 19. Jh. wandten sich neue gesellschaftliche und politische Kräfte in allen Teilungsgebieten Polens gegen die Programme der positivistischen „organischen Arbeit“, die als Symptome der politischen Resignation betrachtet wurden. In Galizien richteten sie sich gegen die monopolistische Regierung der Konservativen, insbesondere der Stańczyken, die im Lager des Krakauer Kreises seit den späten 70er Jahren eine immer größere Rolle spielten.
Die Ankündigung einer effektiveren Opposition gegenüber der Machthaber seitens der liberalen Demokraten 1889 und der neuerliche Einzug der bäuerlichen Vertreter in den galizischen Landtag desselben Jahres leiteten eine Phase der Entstehung moderner Massenparteien und mit der Umsetzung ihrer programmatischen Ziele einen Prozess der Demokratisierung des Landes ein.
Eine weitere Zäsur im politischen Leben Galiziens bildete das Jahr 1897, als nach der Einführung der V. Kurie des allgemeinen Wahlrechts im Wiener Reichsrat zum ersten mal eine Gruppe polnischer Mandatare außerhalb des Polenklubs stand, und schließlich das Jahr 1907, in dem die erste Abstimmung nach dem allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrecht abgehalten wurde und die Führung in der nationalen Vertretung der Polen zum ersten Mal in der konsitutionellen Ära an die demokratische Mehrheit ging. Die Änderung der Taktik der stärksten unter den polnischen Oppositionsparteien – der Volkspartei -, d. h. ihr Beitritt zum Polenklub 1908 und ihre spätere Zugehörigkeit zum „Statthalterblock“ verlängerte der Regierungspartei zwar für einige Zeit ihre politische Existenz in den sich ändernden sozialen Verhältnissen, diese ungewöhnliche Allianz und die Politik der Zugeständnisse an die Ruthenen rief aber starke Gegner auf den Plan. Im Ringen um den politischen Einfluss im Lande zwischen den Krakauer Konservativen und den Nationaldemokraten ist den Letzteren gelungen, nicht nur den Führungsanspruch der Machthaber in Frage zu stellen. Mit ihrer Rolle als „Verteidiger des polnischen Besitzstandes“ fand das nationale Lager eine Legitimation für ihre politische Existenz im dicht besetzten Parteienspektrum Galiziens und zog Elemente aus dem Kreis der ostgalizischen Konservativen in ihre Bann, was auch der als beschränkt eingestuften Weltanschauung der Podolier eine neue Dimension verlieh. Der Schulterschluss der Nationaldemokraten, der ostgalizischen Konservativen und der hohen Geistlichkeit während der Verhalndlungen hinsichtlich der neuen Wahlordnung für den Landtag 1913 stürzte die Krakauer Konservativen in eine tiefe Krise und verschob wieder die politische Achse in Galizien nach den letzten Landtagswahlen vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Im konservativen Lager verschob sich das Gewicht zu den ostgalizischen Podoliern, im bäuerlichen Lager vollzog sich eine Spaltung, was diese Kräfte vor einer neuerlichen Herausforderung stellte, und auf der gesamtgalizischen Ebene bekamen die ruthenisch-ukrainischen Elemente durch die Erfordernisse der österreichischen Außenpolitik einen Rückenwind. Eine Epoche neigte sich dem Ende zu.