Abstract (deu)
Über FILM IST., ein junges und mit dem derzeitigen Entstehen des dritten Teiles aktuelles Werk des österreichischen Künstlers und Filmemachers Gustav Deutsch, welches Gegenstand dieser Diplomarbeit ist, erschienen bisher nur wenige Texte, die über die journalistische Berichterstattung hinausgehen und auf wissenschaftlichem Fundament beruhen. Eine ausführliche Beschäftigung mit dem Werk und die Einbettung in einen kunst- und filmhistorischen Kontext werden in der vorliegenden Arbeit zum ersten Mal versucht.
Zu Beginn wird der aufwändige Entstehungsprozess der Found-Footage-Arbeit erstmals intensiv behandelt, wobei auch auf Faktoren wie das Copyright eingegangen wird. Ein Kapitel ist dem Ausgangsmaterial gewidmet, welches zu einem Gutteil aus den ersten Jahrzehnten der Filmgeschichte stammt. Den bisher zwei Teilen von FILM IST. liegen thematisch die „Geburtsstätten des Films“ (Deutsch) – die Wissenschaft und das Varieté – zugrunde. Nachdem die Kriterien behandelt werden, nach denen Deutsch das zum Großteil in Archiven gesammelte Filmmaterial ausgewählt hat, wird der Bezug zur Frühzeit des Films, insbesondere zum „Kino der Attraktionen“ (Tom Gunning) untersucht.
Weiters werden die Be- und Verarbeitung des Ausgangsmaterials sowie die Präsentationsarten des „Endprodukts“ FILM IST. behandelt. Die Art der Montage der linearen Version wird analysiert, indem die häufigsten Montagemuster gefiltert und nach Vorbildern in der Filmgeschichte untersucht werden. Dabei wird deutlich, dass Deutsch sich sowohl an Eisenstein und Griffith, (frühen) Avantgardefilmen als auch an Dokumentarfilmen, surrealistischen Filmen und sogar an Spielfilmen orientiert hat. Starke Parallelen – wenn auch auf Basis unterschiedlicher Interessen und Motivationen – bestehen zu den Montageexperimenten Lev Kuleschows. Deutsch bedient sich am gesamten Schnittrepertoire der Geschichte – ebenso, wie er sich bei den Filmen selbst bedient. Berücksichtigt wird außerdem der Ton, der einen wesentlichen Beitrag zur Gesamtwirkung des Werks leistet und schon im Stadium der Entstehung eine gleichberechtigte Position zum Bild einnimmt. Im Sinne eines auf sich selbst verweisenden „Betriebsgeräusches“ (Christian Scheib) weist FILM IST. auch hier Bezüge zu früher entstandenen Avantgardefilmen auf. Deutsch setzt den Ton aber gleichzeitig auch als Atmosphäre, Stimmung und Emotionen schaffendes Mittel ein, was das Werk somit wieder in die Nähe des klassischen Erzählkinos rückt.
Neben der linearen Version von FILM IST. werden die verschiedenen Formen von Installationen vorgestellt, in welchen das Werk bisher präsentiert wurde. Besonderes Interesse gilt dabei der 8-Screen-DVD-Version. Diese verweist nun auch formal auf frühe filmische Formen wie panoramatische Mehrfachprojektionen und auf vorfilmische Spielzeuge wie das Zoetrop und das Praxinoskop. Auch das Erbe des Expanded Cinema, das gerade in Österreich mit Peter Weibel, Ernst Schmidt jr. und anderen zahlreiche Vertreter hatte, wird in Bezug auf FILM IST. untersucht. Das Befreien aus dem Korsett des Kinosaals wird in einigen Präsentationsweisen von FILM IST. zu einer Rückkehr zu Vorführpraktiken der Frühzeit des Films, in jene Zeit also, in der es noch keine Kinosäle gab, in welcher Kino, wenn man so will, noch von Natur aus „expanded“ war.
Da FILM IST. in mehrerer Hinsicht eine sicherlich ungewöhnliche Offenheit zugrunde liegt, wie sich in der Fortsetzbarkeit, aber auch in den verschiedenen Spielarten, Varianten und Präsentationsweisen zeigt, erweist sich die Anwendung der Begriffe „’offenes’ Kunstwerk“ und „Kunstwerk in Bewegung“ (Umberto Eco) auf FILM IST. als äußerst sinnvoll. Besonders die Eigenschaften eines „Kunstwerks in Bewegung“, eines Werks also, das aus vielen verschiedenen möglichen Ausführungen besteht, sind in Bezug auf FILM IST. höchst aufschlussreich. Die Selbstreflexivität des Mediums Film setzt sich auf subtile Weise auch in der oder den Präsentationsweise/n fort.
Außerdem werden bereits vorgenommene Typologisierungen beleuchtet, wobei deutlich wird, dass etwa die bisherige Zuordnung zum Kompilationsfilm wenig sinnvoll ist. Termini wie Collagefilm (im Verständnis von William C. Wees), Tableaufilm oder Archivkunstfilm (nach Sharon Sandusky) lassen sich hingegen auf FILM IST. anwenden.
In einem Kapitel wird versucht, FILM IST. in den Kontext von Gustav Deutschs filmischem Werk einzubetten. Indem zunächst Konstanten Deutschs filmischer Arbeiten – wie Found Footage, Strukturierung und Selbstreflexion – herausgefiltert werden, können anschließend Gemeinsamkeiten, aber auch die besonderen Eigenheiten von FILM IST. definiert werden.
Im letzten Kapitel wird ein kurzer Ausblick auf Teil 3, FILM IST. a girl and a gun, gegeben, welcher sich aller Voraussicht nach noch stärker narrativer Strukturen bedienen wird.
Neben der Sichtung der Filme und der Literaturrecherche dienten mehrere Gespräche mit Gustav Deutsch als Informationsgrundlage für die Beantwortung des hier angestrebten Forschungsinteresses. Ein ausführliches Interview mit Deutsch, auf das in der Arbeit immer wieder verwiesen wird, ist im Anhang abgedruckt.