Abstract (deu)
Die schwedische Gegenwartsautorin Marie Hermanson weist in ihren Arbeiten einen expliziten Bezug zu Märchen auf und wird als moderne Märchenerzählerin geschätzt. Selbst ihre späteren, realistischeren Romane zeichnen sich stets durch Einbrüche des Außergewöhnlichen in den Alltag aus. Die Autorin stellt damit keinen Einzelfall dar: das moderne lyrische Prosagenre rückt in Schweden gerade seit den 1980er Jahren mit Motiven und Figuren aus Märchen und Mythen wieder verstärkt in den Mittelpunkt des Interesses.
Diese Abhandlung, die sich vor allem auf die stilistischen Untersuchungen Max Lüthis und Vladimir Propps Zaubermärchen-Morphologie stützt, gewinnt als strukturelle Märchen-Merkmale die Stadien von Mangel, Suchwanderung, Prüfungen, Initiation und Happy End. Der Vergleich mit dem in den Mythen erkannten Grundablauf von Trennung, Initiation, Rückkehr ermöglicht die Formulierung einer beiden Erzählformen zugrunde liegende Struktur: die Abfolge von Mangel (Isolation) – Aufbruch – Prüfung – Initiation – Happy End.
Eine Analyse Hermansons Romane zeigt, dass diese Struktur zum Tragen kommt, sofern eine weibliche Hauptfigur vorhanden ist. Die Romane mit männlichen Hauptfiguren – ausgenommen Svampkungens Son, der dem „weiblichen“ Schema folgt – fügen diesem Muster noch die Sequenz „Verlust des erlangten Glücks“ hinzu. Die Protagonistinnen können also einem Happy End in Form von (innerem) Reichtum, Zufriedenheit und der Aussicht auf einen Märchenprinzen entgegensehen, während die Helden ihr Glück stückweise wieder verlieren. Nicht nur lässt sich damit in den Romanen Marie Hermansons eindeutig eine Struktur nachweisen, wie sie dem Schema aus Märchen und Mythen entspricht; zugleich wird deutlich, dass Märchen und Mythen in der Gegenwartsliteratur noch immer stark präsent sind und großen Einfluss auf diese besitzen.