Abstract (deu)
Als zentrales Hauptziel verfolgt das Governance-Weißbuch die Förderung des demokratischeren Regierens in der EU, um damit einerseits die postulierte Legitimationsproblematik abzuschwächen und andererseits die EU-Skepsis der Unionsbürger effektiv bekämpfen zu können. Der von der Kommission verwendete Begriff des demokratischeren Regierens wird im Weißbuch nicht näher dargelegt. Auch erörtert das Governance-Weißbuch die Frage nach dem Demokratiekonzept der EU nicht. Governance setze nach Ansicht der Kommission jedoch fünf Grundprinzipien voraus: Transparenz, Partizipation, Verantwortlichkeit, Effektivität und Kohärenz.
Angesichts der Bedeutung des Europäischen Kartellrechts als wesentliches Kernelement des unionalen Binnenmarktkonzeptes und der hierbei weitgehenden Kompetenzen der Kommission wird in der gegenständlichen Arbeit untersucht, inwieweit sich die Governance-Prinzipien der Kommission im Vertrag von Lissabon (mit Fokussierung des Europäischen Kartellrechts) widerspiegeln. Verbindet man die abstrakten Governance-Elemente (die fünf Governance-Prinzipien) mit den konkreten Governance-Elementen (den Governance-Instrumenten) und beachtet dabei die primärrechtlichen Vorgaben und Rahmenbedingungen der Verträge mit besonderer Berücksichtigung der Bestimmungen zum Europäischen Kartellrechts, so lässt sich das Ergebnis wie folgt zusammenfassen:
Vergleicht man die Vorschläge des Weißbuchs zum demokratischeren Regieren mit den Ausführungen der Forschungsarbeit zum Wesen der Demokratie, so kann festgestellt werden, dass Repräsentation und Legitimität im Governance-Weißbuch eine, wenn überhaupt, marginale Rolle spielen. Implizit behandelt das Governance-Weißbuch nach den Ausführungen in der Forschungsarbeit allerdings sowohl die Input- als auch die Output-Seite der Legitimität. Input wird durch die Grundsätze der Partizipation und der Transparenz gestützt, Output durch die Prinzipien der Verantwortlichkeit, der Effektivität und der Kohärenz.
Den Governance-Grundsätzen, die für demokratischeres Regieren der Union sorgen sollen, wurden bei der Normierung von Art. 103 AEUV, welche die Ermächtigungsnorm im Europäischen Kartellrecht bildet, nicht ausreichend Rechnung getragen. Zudem haben die Neuerungen des Primärrechts (Neutypisierung der Rechtsakte, Art. 15 AEUV, Grundsatz der Partizipation, Grundsatz der Repräsentation, obligatorische Abhaltung von Konsultation) die Demokratisierung der Normsetzung in diesem Bereich nicht gefördert. Der Demokratisierungsprozess wird somit weiterhin in den einzelnen Politiken und damit den jeweiligen Modellen der Rechtsetzung unterschiedlich zu beurteilen sein.
Eine Klärung beziehungsweise Vereinfachung des Demokratiekonzepts der Union hat der Vertrag von Lissabon somit nicht geschaffen. Meines Erachtens ist die Rechtsetzung im Europäischen Kartellrecht weder mit den Governance-Prinzipien noch mit dem dualen Legitimationsstränge-Konzept der Union (vgl Art. 10 EUV n.F.) vereinbar. Eine politische Zurückhaltung einiger Bereiche, wie etwa im behandelten Kartellrecht, ist mit dem Demokratiegebot der Union nach Art. 10 EUV n.F. kaum kompatibel.
Das Governance-Weißbuch scheint somit zu versuchen, die Output-Legitimation der EU zu erhöhen, um damit den Mangel an Input-Legitimation zu kompensieren. Ob dies tatsächlich zu einer erhöhten Legitimation des unionalen Handelns führen kann, ist anzuzweifeln. Ein legitimeres, damit demokratischeres, Handeln der EU ist mit erhöhter Output–Bezogenheit allein aber wohl auf keinen Fall zu erreichen.