Abstract (deu)
Das Hauptaugenmerk dieser Untersuchung liegt auf der Analyse des In-Szene-Setzens von ‚Laien/innen’ auf der Bühne und dessen ästhetischen Implikationen: Anhand des Beispiels von Doris Uhlichs Tanzstück und, mit Senioren und Seniorinnen ohne spezifische Tanzausbildung am 24. März 2007 uraufgeführt, wird die Zusammenarbeit zwischen Choreografin und ‚Laien/innen’ während des Probenprozesses ergründet sowie das Gesamtkonzept der Inszenierung untersucht.
War es zunächst für den Forschungsprozess wichtig, den Begriff des ‚Laien‘/der ‚Laiin‘ im Vorfeld der Analyse zu definieren, stellt er sich im Zuge der Recherchen als unzureichend heraus: Vielmehr tritt der/die einzelne Akteur/in des Stückes in den Vordergrund. Zudem wird ersichtlich, dass die Ebene des Wissens und Könnens, auf die der Terminus zu verweisen vermag, nicht eindeutig und endgültig mit bestimmten Positionen der Kreation des Stückes zu verschränken ist: Die Erläuterung des spezifischen Wissens der von Doris Uhlich so bezeichneten ‚Spieler/innen’ legt den Schluss nahe, dass dieses der Choreografin nicht unmittelbar verfügbar ist und umgekehrt Doris Uhlich über Wissen verfügt, das während ihrer Ausbildung und durch Erfahrung erworben wurde.
Durch die Analyse der Inszenierung wird deutlich, dass beinahe alle Choreografien motorisch einfach nachzuahmen sind und ihre professionelle Qualität in der Ausführung liegt. Durch die Abstraktion der alltäglichen oder kodierten Bewegungen und die Inszenierung werden die Spieler/innen zu Bewohner/innen der Bühne. Einschätzungsmechanismen werden in dem Stück auf vielfältige Weise thematisiert, indem Zuschreibungen stetig einer Revision unterzogen werden müssen: Alter und Können sind die Felder, welche und verhandelt. Der Betrachter/die Betrachterin ist eingeladen, die Annahmen, die damit verbunden werden, zu reflektieren und zu überdenken.
Auf die Frage, warum untrainierte Körper in zeitgenössischen Tanzstücken erscheinen, gibt der letzte Teil der Untersuchung verschiedene Antworten: Theatertheoretische, soziologisch-kulturwissenschaftliche und tanzwissenschaftlich-philosophische Konzepte werden auf das Beispiel und bezogen und ergeben so ein Kaleidoskop an möglichen Kontextualisierungen.
Betrachtet man das Erscheinen der Spieler/innen vor dem Hintergrund der von Erika Fischer-Lichte so bezeichneten Ästhetik des Performativen , welche Gegensatzpaare zum Einstürzen bringt und deren Aufführungen auf die real vergehende Lebenszeit verweisen, werden Zuschreibungen wie ‚Laie/in‘ absurd und müssen Fragen nach einer außertheatralen Wirklichkeit verstummen.
Mit Hilfe des Denkmodells der Verkörperung und des Habituskonzeptes , unter dem Gesichtspunkt der Favorisierung performativer Praxis betrachtet, wird der Umstand vermittelbar, dass eine individuelle Person über ihr eigenes Repertoire verfügt, das zwar von anderen erlernt, aber nicht auf die gleiche Weise verkörpert werden kann. Jeder Körper ist einzigartig und wird stetig geformt und hervorgebracht: Durch die Spieler/innen von und verdeutlicht sich ein den Tanz bestimmender Vorgang – das Choreografieren von menschlichen Bewegungen – und ebenso ein die Situation des Theaters explizierendes Phänomen – Verkörperung – ins Extreme.
Der von Gerald Siegmund erörterte Choreografiebegriff lässt das Gesetz, dem der tanzende und damit auch der zuschauende Körper unterworfen wird, offenbar werden. Auf das Beispiel bezogen lässt sich die Faszination, welche die Spieler/innen von und auslösen, indem sie in die strukturierende Gesetzgebung eingreifen und so Hoheitsansprüche an Kunstausübung, Ästhetik und Inhalt in Frage stellen, beschreiben.
Doris Uhlich hat die Probe aufs Exempel gemacht: Sie hat Phänomene der individuellen Bewegungs- und Verkörperungsbedingungen – von zentralem Interesse im (zeitgenössischen) Tanz – mit älteren, untrainierten Menschen untersucht und daraus ein Stück kreiert.