Abstract (deu)
Gegenstand dieser religionswissenschaftlichen Studie ist die Rhythmusbewegung der Weimarer Republik. Aufgrund der zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgten Neuentdeckung des Rhythmus als Körpererfahrung etablierte sich im deutschen Sprachraum eine Rhythmusbewegung, die durch rhythmische Gymnastik den Einklang von Mensch und Natur suchte.
„Rhythmus“ avancierte zum Modewort der Epoche und beeinflusste in seiner Funktion als Sinnstifter und Medium von Transzendenzerfahrungen in bedeutsamer Weise das spirituelle Feld der Moderne. Den spirituellen Aspekt der Rhythmusbewegung zu beleuchten, bedeutet deshalb auch die Geschichte
des spirituellen Feldes zu erzählen. Die leiborientierte Übungspraxis trat an die Stelle eines religiös christlich geprägten Weltbildes. Nicht die bloße körperliche Betätigung war das Ziel, sondern die Erlangung eines freien und gesammelten Geistes in einem freien Körper. Das religiöse Konzept der irrational-kosmischen Weltanschauung der RhythmikerInnen beinhaltete den Glauben an einen universalen Rhythmus als Ursprung allen Seins. Sinnesorientierte Übungen dienten als Schlüssel zur Erfahrung dieser kosmischen Kraft.
Die religiöse Lage in der Weimarer Republik im Zusammenhang mit der Entstehung des modernen spirituellen Feldes wer den ebenso dargestellt, wie die Entstehungsgeschichte und Soziologie der Rhythmusbewegung und die religiösen Wurzeln des mit der Rhythmusbewegung eng verbundenen Ausdruckstanzes. Die Vereinnahmung von Rhythmus und Tanz durch den Nationalsozialismus als auch die politische Haltung der RhythmikerInnen und die Verbindung der Rhythmusbewegung zum gegenwärtigen spirituellen Feld werden in eigenen Kapiteln erörtert. In der Vorstellung eines Neuen Menschen in einem neuen Zeitalter spiegelt sich das Bedürfnis nach Sinnsuche
und Spiritualität. „Rhythmus“ diente den ProtagonistInnen
als Sinnstiftungsprinzip. Eingebettet in die Körperkulturbewegung stellte die Rhythmusbewegung der Weimarer Republik nicht nur eine der mächtigsten unsichtbaren Religionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts dar, sondern ist auch als eine frühe Ausprägung moderner Spiritualität anzusehen.