Abstract (deu)
Die vorliegende Arbeit ist in die entwicklungstheoretische Debatte zu
‚Religion/Glaube/Mission und Entwicklung’ einzuordnen, in welcher der Bedarf nach
Fallstudien geäußert wird, um die Rolle von Religion in Entwicklungsprozessen besser zu
verstehen. Dies macht eine Untersuchung der Grundwerte erforderlich, mit welchen sich eine
Glaubensorganisation identifiziert, denn nur so kann ihr Glaube im Verhältnis zu ihren
Entwicklungsaktivitäten angemessen reflektiert werden.
Die Arbeit setzt sich nach einer eingänglichen Erläuterung zu der ‚Wiederkehr des
Religiösen’ in der Entwicklung mit einem Ansatz auseinander, welcher in der evangelikalen
christlichen Glaubensrichtung und von EntwicklungspraktikerInnen in den 1980er-Jahren
entwickelt worden ist. ‚Entwicklung’ kann demnach nur erreicht werden, indem die Trennung
zwischen dem materiellen und spirituellen Bereich des Lebens – das wesentliche Kennzeichen
der modernen Weltanschauung – überwunden und der Mensch als Ganzes betrachtet wird,
nämlich als Einheit von Körper, Seele und Geist. Dieser Ansatz der ‚transformativen
Entwicklung’ ist ein integraler Bestandteil der biblisch-zentrierten Mission, welche sich nach
dem Beispiel von Jesus Christus richtet und die ganzheitliche Wiederherstellung des
Menschen samt seinen körperlichen und spirituellen Bedürfnissen an strebt.
Eine empirische Fallstudie von einer Entwicklungsorganisation in Indien veranschaulicht im
zweiten Teil der Arbeit die theoretischen Betrachtungen. Diese arbeitet in Südindien unter den
Gypsies, die den gesellschaftlichen Status der ‚Kastenlosen’ haben. Es wird aufgezeigt, wie
stark die materielle Armut dieser Bevölkerungsgruppe mit dem religiösen
Gesellschaftssystem verflochten ist. Weiters wird ermittelt, wie das Missionsverständnis der
Organisation deren Entwicklungspraxis beeinflusst und argumentiert, dass die Ausrichtung
auf Werte und Beziehungen die Voraussetzung für einen nachhaltigen sozialen Wandel und
die Überwindung der Armut darstellt.
Das Material der Fallstudie ist in einem einmonatigen Forschungsaufenthalt in Indien durch
Gespräche, Beobachtungen, Interviews und Literatur gesammelt worden. Diese Arbeit
beabsichtigt, einen Einblick in das komplexe Verhältnis von Religion und Entwicklung zu
geben und jene EntwicklungsakteurInnen herauszufordern, welche die legitime Rolle von
Religion in Entwicklungsaktivitäten weiterhin hinterfragen. Ebenso belegt sie, dass
Entwicklung nur dann relevant ist, wenn auch unsichtbare/spirituelle Faktoren berücksichtigt
werden, welche das Wohlergehen der Armen untergraben.