Abstract (deu)
Die vorliegende Diplomarbeit beschäftigt sich mit privatem Landerwerb in Slums in Kisumu, der drittgrößten Stadt Kenias. Die Autorin legt den Schwerpunkt dabei auf Kauf und Erbe als die beiden vorherrschenden Arten von privatem Landerwerb; Pachtverhältnisse werden nicht explizit behandelt. In der Arbeit wird einerseits untersucht, wie der Erwerb gemäß der kenianischen Rechtsnormen von statten gehen soll, gleichzeitig werden die tatsächlichen Erwerbsprozesse in einer Slum-Siedlung analysiert. Neben Literaturrecherche hat die Autorin einen Schwerpunkt auf die Analyse der kenianischen Gesetze gelegt sowie eine Primärdatenerhebung mittels Fragebogen in Gonda, einem Teil von Kisumus größtem Slum Manyatta ‘A’, durchgeführt.
Die empirischen Ergebnisse der Befragung in Gonda zeigen, dass eine große Anzahl an Personen Land nicht entsprechend der staatlichen Rechtsnormen erwirbt, sondern gewohnheitsrechtliche Normen anwendet. Der Grad der Anerkennung und Anwendung des staatlichen Systems ist in Fällen von Landerwerb durch Kauf (16 untersuchte Fälle) und Landerwerb durch Erbfall (25 untersuchte Fälle) unterschiedlich hoch. In 87,5 % der Erwerbsfälle durch Kauf waren alle Parteien beteiligt waren, die laut gesetzlicher Vorgabe im Erwerbsprozess partizipieren müssen. Darüber hinaus besitzen 75 % der Käufer eine Grundstückseigentumsurkunde in ihrem Namen, weitere 12,5 % eine Urkunde im Namen einer anderen Person. In den Erwerbsfällen durch Erben ist das staatliche Recht weit weniger stark verankert: von 25 interviewten Erben gab keine Person an, im Zuge des Erwerbsprozesses bei Gericht gewesen zu sein, obwohl dies für den Erwerb gemäß des staatlichen Rechts sowie für den Erhalt einer Grundstückseigentumsurkunde notwendig ist. Dennoch gaben 52 % dieser Personen an, eine Grundstückseigentumsurkunde in ihrem eigenen Namen zu besitzen – ein Widerspruch, der während des Forschungsaufenthalts nicht aufgelöst werden konnte. 32 % der Erben behaupteten zudem, eine Grundstückseigentumsurkunde zu besitzen, welche auf den verstorbenen Erblasser ausgestellt ist. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass in 44 % aller Erwerbsfälle traditionelle Autoritäten Teil des Erwerbsprozesses waren, obwohl ihre Teilnahme weder bei Kauf noch Erbe im staatlichen Recht vorgesehen ist. Des Weiteren zeigte sich, dass der Landerwerb durch Erbfälle auf Grund von traditionellen Vorstellungen oftmals Männern vorbehalten ist. 36 % aller befragten Erben im Untersuchungsgebiet gaben an, dass nur Söhne innerhalb der Familie erbberechtigt sind. 60 % gestehen beiden Geschlechtern ein Erbrecht zu, während in 4 % der Fälle das Recht, Land zu erben, Frauen vorbehalten ist.
Der stärkere Drang der Käufer nach formeller Anerkennung kann dadurch erklärt werden, dass diese sich in 87,5 % aller Fälle selbst als „Neuankömmlinge“ in dem Gebiet bezeichnen und daher nicht traditionell in der lokalen Gemeinschaft verankert sind. Im Gegensatz dazu können Erben eher auf staatliche Anerkennung ihres Rechte zu verzichten, da sie sich auf die Anerkennung ihres Anspruches durch ihre Verwurzlung innerhalb der Gemeinschaft verlassen können. Kaufprozesse entsprechend dem staatlichen Recht weisen eine Besonderheit auf. Die von der Regierung eingesetzten Land Control Boards können über die Verkaufsabsichten der Käufer innerhalb des untersuchten Gebietes entscheiden. In seiner Entscheidungsfindung berücksichtigt das Board in Kisumu sehr stark soziale Gesichtspunkte sowie die Interessen der engen Familienmitglieder des Verkäufers. Dies führt dazu, dass das an sich als individuelles Eigentumsrecht konzipierte Verfügungsrecht tatsächlich als kommunales Recht der Familie ausgeübt wird. Damit wendet das Board implizit jene – auch im Gewohnheitsrecht praktizierten – Kriterien an, welche eigentlich durch die Einführung des staatlichen Systems abgeschafft werden hätten sollen.
Die Autorin kommt zur Schlussfolgerung, dass die in Kisumu in den späten 1960er-Jahren begonnene und Mitte der 1990er-Jahre abgeschlossene Einführung von individuellen Eigentumstitel für Land sowie die damit einhergehende staatliche Erfassung und Aufzeichnung der Eigentumsverhältnisse zwar die bis dahin bestehenden (gewohnheitsrechtlichen) Prozesse des Landerwerbs veränderte, diese jedoch nicht zur Gänze ersetzen konnte. Tatsächlich führte sie zu einem bis heute bestehenden Dualismus des staatlichen Rechts und des Gewohnheitsrechts, da eine große Anzahl an Personen Land immer noch entsprechend der gewohnheitsrechtlichen Normen erwirbt bzw. auf die traditionellen Autoritäten vertraut. Die verantwortlichen staatlichen Behörden müssen sich der fehlenden Attraktivität des staatlichen Systems bewusst sein, da die Anwendung der gewohnheitsrechtlichen Prozesse zu einem veralteten Grundbuch sowie zu falschen Eigentumsurkunden und somit zu Rechtsunsicherheit führt. Eine verbesserte Administration der Eigentumstitel sowie günstigere formelle Prozesse könnten dazu beitragen, die Effektivität und Akzeptanz des staatlichen Systems zu erhöhen.