Abstract (deu)
Zielsetzung: In der Werbewirkungsforschung, speziell in Bezug auf Lebensmittel, lässt sich eine essentielle Forschungslücke feststellen, denn bestehende Untersuchungen basieren fast ausschließlich auf der Analyse der Werbewirkung auf Kinder. Erwachsene weisen aufgrund gefestigter Einstellungen eine höhere Werbekompetenz auf, daher können die Studienergebnisse mit Kindern als RezipientInnen nicht auf sie übertragen werden. Die vorliegende Studie fokussiert diese Forschungslücke, indem sie den Einfluss von Fernsehwerbung – sowohl für ungesunde als auch für gesunde Lebensmittel – auf Erwachsene untersucht und die geplante Lebensmittelkonsumation, die Einstellung gegenüber der Sympathie und Gesundheit von Lebensmitteln sowie die grundlegende Einstellung gegenüber einer gesunden Ernährung von Erwachsenen betrachtet. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass sich Werbung, die für gesunde Lebensmittel wirbt, positiv und Werbung, die für ungesunde Lebensmittel wirbt, negativ auf die Einstellung gegenüber der Sympathie und Gesundheit von Lebensmitteln sowie auf die grundlegende Einstellung gegenüber einer gesunden Ernährung auswirken. Neben soziodemografischen Einflussfaktoren wird insbesondere der Body-Mass-Index als Einflussfaktor auf die zuvor genannten abhängigen Variablen untersucht. In diesem Zusammenhang wurde unterstellt, dass bei Personen mit einem höheren Body-Mass-Index Fernsehwerbung für ungesunde bzw. gesunde Lebensmittel zu einer höheren Einstellungsverringerung bzw. geringeren Einstellungserhöhung gegenüber der Sympathie und Gesundheit von Lebensmitteln sowie gegenüber der grundlegenden Einstellung gegenüber einer gesunden Ernährung führt.
Methode: Zur Untersuchung dieser Fragestellungen wurde ein multimethodisches Vorgehen angewendet. In Laborexperimenten rezipierten 315 ProbandInnen im Alter von 18 bis 73 Jahren zunächst ein 30-minütiges Fernsehprogramm, das Werbespots beinhaltete, in denen entweder für gesunde, ungesunde oder Non-Food-Produkte geworben wurde. Nach der statistischen Auswertung dieser quantitativen Untersuchung wurden 16 ProbandInnen, die an den Laborexperimenten teilgenommen hatten, mithilfe von leitfadengestützten Interviews befragt, um die nachgewiesenen Effekte der quantitativen Untersuchung näher analysieren und zugrundeliegende Erklärungsansätze anhand qualitativer Daten überprüfen zu können.
Ergebnisse: Im Hinblick auf die geplante Lebensmittelkonsumation zeigen die Ergebnisse insofern in die erwartete Richtung, als dass Fernsehwerbung für ungesunde bzw. für gesunde Lebensmittel zu einer höheren geplanten Konsumation von ungesunden bzw. gesunden Lebensmitteln führt. Die Resultate zur Einstellungsänderung gegenüber der Sympathie und Gesundheit von Lebensmitteln weisen zwar ebenfalls einen Effekt der Lebensmittelwerbung auf, jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Während Werbung für gesunde Lebensmittel zu einer Verringerung der Einstellung gegenüber der Sympathie und Gesundheit gesunder Lebensmittel führt, weist Werbung für ungesunde Lebensmittel einen negativen Effekt nur im Hinblick auf die Sympathie ungesunder Lebensmittel auf. Zudem bestätigen die Ergebnisse zwar einen Einfluss von Fernsehwerbung für ungesunde bzw. gesunde Lebensmittel auf die grundlegende Einstellung gegenüber gesunder Ernährung, jedoch ist die Richtung des Effekts abhängig von der zugrundeliegenden Einstellungsdimension. Der Body-Mass-Index konnte nicht als hinreichender Faktor für den Einfluss von Fernsehwerbung für ungesunde bzw. gesunde Lebensmittel auf die betrachteten abhängigen Variablen bestätigt werden.
Schlussfolgerung: Die konträren Auswirkungen des Einflusses von Lebensmittelwerbung im Fernsehen auf die geplante Lebensmittelkonsumation auf der einen und die Einstellung gegenüber der Sympathie und Gesundheit von Lebensmitteln auf der anderen Seite lassen sich bei Erwachsenen damit erklären, dass gegensätzlich ausgeprägte Assoziationen gegenüber gleichen Lebensmitteln vorliegen. Bisherige Untersuchungen belegen, dass implizite – unbewusst gehaltene – Assoziationen (beispielsweise hinsichtlich des Geschmacks eines Lebensmittels) von expliziten – bewusst gehaltenen – Einstellungen (beispielsweise hinsichtlich der Sympathie oder Gesundheit) abweichen können. Der theoretische Erklärungsansatz wird durch die qualitativen Daten untermauert, die darauf hindeuten, dass Werbung für ungesunde bzw. gesunde Lebensmittel zu gegensätzlichen Priming-Effekten derselben Lebensmittel führen kann: Einerseits werden Lebensmittel als unsympathischer und andererseits als schmackhafter wahrgenommen, und trotz negativerer expliziter Assoziationen erhöht sich die geplante Konsumation. Einen Erklärungsansatz für die ambivalenten Auswirkungen von Werbung für ungesunde bzw. gesunde Lebensmittel auf die zugrundeliegenden Einstellungsdimensionen gegenüber gesunder Ernährung bieten die Priming-Theorie und der Konstruktivismus. Mit Bezug zur Priming-Theorie legen die Ergebnisse nahe, dass der Priming-Effekt der rezipierten Werbung nicht auf der Grundlage der objektiven Produkteigenschaften, sondern auf der Basis einer Bewertung der den Werbespots zugrundeliegenden Werbebotschaften stattfindet. Dieser Ansatz der Priming-Theorie kann mithilfe des Konstruktivismus verfeinert werden. Zu diesem Zweck werden die vorhandenen kontextrelevanten mentalen Modelle, hier hinsichtlich vorgefestigter Einstellungen gegenüber gesunder Ernährung, als Einflussfaktoren auf den Priming-Effekt der Werbebotschaften betrachtet. Die Mechanismen, anhand derer vorgefestigte Einstellungen gegenüber gesunder Ernährung die Informationsverarbeitung und somit den Priming-Effekt der Werbebotschaften auf die Einstellungsdimensionen gegenüber gesunder Ernährung beeinflussen, erfahren im Abschnitt Diskussion eine detaillierte Darstellung. Darüber hinaus werden aus der Ergebnisinterpretation wissenschaftliche Implikationen für die Werbewirkungsforschung im Bereich von Lebensmittelwerbung sowie praktische Implikationen für die Werbeindustrie abgeleitet.