Abstract (deu)
Sich die Haare schneiden zu lassen ist für viele Menschen eine Alltagserfahrung. Die Erforschung dieser, als gewöhnlich wahrgenommene Erfahrung, und die damit in Verbindung stehenden Interaktionen und sozialen Phänomene, birgt jedoch auch das Potenzial für neue Beiträge und Verknüpfungen für den wissenschaftlichen Diskurs.
Die vorliegende Masterarbeit hat als Untersuchungsgegenstand und Forschungsfeld ein Projekt, in dessen Rahmen zwischen 2017 und 2018 Pop-up-Frisiersalons (cut around the world, CATW) im öffentlichen Raum in Wien, Österreich, als Orte der Begegnung und der Interaktion geschaffen wurden. Zudem werden das Frisierhandwerk, sowie einige der damit verbundenen sozialen und gesellschaftlichen Dynamiken und Interaktionen nachskizziert.
Durch das Angebot eines Haarschnitts im öffentlichen Raum und vor Publikum, anstelle der vertrauten Intimität und Privatheit eines klassischen Friseursalons, wurde Menschen - neben dem Angebot eines Haarschnitts durch ein transkulturelles Friseur*innen Team - weiters auch die Möglichkeit gegeben, miteinander in Interaktion zu treten.
Von besonderem Interesse war dabei die Frage, was Menschen dazu motiviert bei diesen Haarschneide-Aktionen vor bzw. als Publikum mitzumachen, sowie die Frage nach den vielfältigen Formen der Interaktion die sich dabei beobachten lassen. Daher wurden folgende Forschungsfragen formuliert: Inwiefern unterscheidet sich der Pop-Up-Salon vom klassischen Frisiersalon-Setting? Worin bestehen die jeweiligen Unterschiede? Welche besonderen Formen von Interaktion entstehen im Pop-Up-Salon?
Um diesen Fragen nachzugehen wurden angelehnt an Franz Breuers Reflexive Grounded Theory Methode (Breuer et al. 2019) im Rahmen von zwei Fallstudien Daten erhoben und ausgewertet. Im Vergleich zum klassischen Frisiersalon gibt es im Pop-Up-Salon nicht zwei, sondern drei Akteur*innen: Friseur*in, Kund*in und Beobachter*in. Die Ergebnisse der empirischen Forschung zeigen, dass sich bei den Akteur*innen das Bedürfnis nach gesellschaftlicher bzw. sozialer Anerkennung und damit auch Wertschätzung zum einen in der Teilnahme des Projekts, aber auch im Haare-tragen selbst ausdrückt. Anerkennung ist nur im Rahmen zwischenmenschlicher Interaktion erfahrbar und hat ein wechselseitiges Sehen und Gesehen-werden als Grundlage. Um dieses Phänomen der Anerkennung zu untersuchen, wurde eine Theorie-Skizze entworfen welche die Akteur*innen bzw. deren Interaktionen im Pop-Up-Salon ins Zentrum stellt und zueinander in Beziehung setzt. Dem formulierten sozialen Phänomen sind Dimensionen wie Persönlichen Indikatoren, Beweggründe und Auswirkungen untergeordnet, welche zugleich das Phänomen begründen. Die empirisch gewonnenen Erkenntnisse werden in weiterer Folge in einen theoretischen Rahmen eingebettet, der sich aus den Erving Goffmans (2009) Verständnis sozialer Interaktionen und Teilen der Anerkennungstheorie nach Axel Honneth (1994) zusammensetzt.
Mit dem veränderten Setting des Pop-Up-Salon geht ein Verlust der Intimität und Privatsphäre einher, welche beim Haareschneiden im Salon als wesentlich gilt. Bei CATW sitzen die Kund*innen vor einem Publikum, während sie sich selbst einer äußerlichen Transformation ohne die Selbstkontrolle eines Spiegels, unterziehen.
Über das Haareschneiden im öffentlichen Raum kommen folglich Menschen, die zunächst einander unbekannt sind, miteinander ins Gespräch oder nehmen als Beobachter*innen eine wichtige Funktion ein. Sie beraten einander, geben Tipps zum Styling oder Komplimente zur (neuen) Frisur. Beobachter*innen ersetzen meist unaufgefordert den Kund*innen den Spiegel und beschreiben wie sie aussehen.
Im öffentlichen Setting des Haareschneidens vor einem Publikum müssen die Akteur*innen sich zuerst überwinden und Vertrauen in die Situation, sowie in ihre Stylist*innen und die anderen Menschen am Setting gewinnen. Dabei zeigten sie sich mutig, spontan und mit der Bereitschaft zur Selbstüberwindung. Die Akteur*innen im Pop-Up-Salon stellen sich den verschiedenen Herausforderungen, welche mit der unvertrauten Situation einhergehen. Dabei ist die Interaktion bzw. Kommunikation über Blicke ein wichtiger Schlüssel, um Vertrauen zu gewinnen und Unsicherheiten loszuwerden.
Bei dieser performativen Form des Haareschneidens entwickeln sich Formen der Gruppendynamik, an der sich soziale Phänomene ablesen lassen.