Abstract (deu)
Gesundheitsthemen geraten selten in den Vordergrund der „hohen Politik“ (also Themen, von denen angenommen wird, dass sie Einfluss auf die Existenz eines Staates haben) – und wenn doch, dann handelt es sich überwiegend um globale Gesundheitsnotfälle statt Alltagsgesundheit. Trotz eines globalen Versprechens zur Förderung der Gesundheit in der WHO-Verfassung von 1946 und eines frühen Interesses an der Aufrechterhaltung einer wirksamen primären Gesundheitsversorgung in Entwicklungsländern durch der Alma-Ata-Erklärung von 1978 scheint die wahrgenommene Bedeutung von PHC auf internationaler und nationaler Ebene im Vergleich zu Aspekten wie Sicherheit und Wirtschaft immer noch gering zu sein. Dieses Fehlen der primären Gesundheitsversorgung (engl. PHC) in der hohen Politik hat sich im Laufe der Zeit eindeutig auf die nationale PHC in den Entwicklungsländern ausgewirkt - aber woher kommt diese Ausgrenzung der Alltagsgesundheit in nationalem sowie internationalem Diskurs? Diese These verschafft Einblick in diese Frage durch eine sorgfältige Analyse und Einordnung der Faktoren, die dem Scheitern der PHC im Kontext der sich ansonsten schnell entwickelnden Länder mit niedrigem mittlerem Einkommen (engl. LMICs) zugrunde liegen. Um dies zu veranschaulichen, wird eine umfassende Analyse anhand von Beispielen zwischen „hoher“ und „niedriger“ Politik unterscheiden und mögliche externe oder supranationale Gründe für die anhaltende Verdrängung der PHC-Entwicklung beleuchten. Anschließend werden Fallstudien aus Indien und Nigeria klären, wie sich diese externen Inputs oder „Upstream-Kontexte“ (Upstream Contexts) auf der inländischen Ebene auswirken und tatsächlich widergespiegelt werden. Durch diese Analyse zieht diese These eine Hauptschlussfolgerung für beide Analyseebenen. Erstens bleibt die supranationale „Ablenkung“ von PHC bestehen: Während Sicherheitsbedenken des Kalten Krieges den Anfang dieses Narrativs bildeten, dominiert bis vor kurzem Zeit die neoliberale Marktorientierung im Entwicklungsdiskurs – deren Einfluss bis heute spürbar ist. Die zweite Schlussfolgerung bezieht sich auf die Fallstudien: In beiden Fällen verlängerten auferlegte oder freiwillig übernommene sicherheitsorientierte (und dann) neoliberale Entwicklungsnormen den unterentwickelten Charakter einer sehr vertikalen nationalen Gesundheitspolitik. Erst kürzlich wurden in Indien (und in geringerem Maße auch in Nigeria) Initiativen gegründet, die darauf abzielen, (1) einige im Zeitalter der neoliberalen Intensivierung entstandene Ungleichgewichte umzukehren und (2) PHC durch Horizontalität statt Vertikalität (d.h. die Anerkennung, dass Gesundheitsfragen und Finanz- und/oder Sicherheitsfragen gleichberechtigt behandelt werden müssen, da sie miteinander verbunden sind) in den Bereich der hohen Politik und deswegen ins Bewusstsein zu bringen.