Description (de)
Es gibt nicht viele Kommunikationswissenschaftler·innen, die sich so systematisch und gründlich mit dem so zentralen Begriff „Kommunikation“ auseinander gesetzt haben, wie Klaus Merten. Sein Name ist in der Fachliteratur vielfach präsent, aber wie er seine Positionen „live“ kommuniziert hat, das ist kaum zugänglich. Dass es dabei gar nicht trocken und abstrakt zugehen muss, stellt er in dieser Aufzeichnung ebenso unter Beweis, wie seinen Ruf als streitbarer Theoretiker, der nicht davor zurückscheut, die Kommunikationspraxis – hier: die Public Relations – mit provokanten Thesen zu konfrontieren.
Das Gespräch mit Klaus Merten fand am 18. Juni 2008 in Wien statt.
Prof. Dr. Klaus Merten
Klaus Merten wurde am 31. Juli 1940 in Potsdam geboren. Er studierte an der TH Aachen Elektrotechnik und Mathematik, 1963 wechselte er zu Publizistik, Soziologie und Geschichte in Münster. 1972 kam er als wissenschaftlicher Assistent an die Fakultät für Soziologie in Bielefeld. 1976 promovierte er dort mit der Arbeit „Kommunikation. Eine Begriffs- und Prozessanalyse zu einem sozialwissenschaftlichen Grundbegriff“ bei Niklas Luhmann. Von 1979-1984 war er Professor für empirische Sozialforschung an der Universität Gießen und Direktor des Instituts für Soziologie. Gastprofessuren nahm er an den Universitäten Mainz, Berlin und Tunis wahr. Von 1984 bis (zur Emeritierung) 2005 lehrte und forschte er als Professor für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft mit besonderer Berücksichtigung der angewandten Kommunikations- und Medienforschung an der Universität Münster. Seine Arbeitsschwerpunkte waren: Kommunikationstheorie, empirische Methoden, Wirkungsforschung und Public Relations. Klaus Merten starb am 24. Februar 2020.
Webpräsenz von Klaus Merten: http://www.uni-muenster.de/Kowi/personen/klaus-merten.html (12.07.2021)
Das Video-Gespräch mit Klaus Merten
„Kommunikation“ ist zweifellos einer der wichtigsten Begriffe in unserem Fach. Bereits für seine Dissertation hat Klaus Merten 160 Definitionen von Kommunikation gesammelt und analysiert (Fußnote 1). Ein großer Teil des Gesprächs widmet sich diesem Begriffsverständnis.
Zunächst weist Merten auf die Schwierigkeiten hin, Kommunikation überhaupt definieren zu können (Begriff Kommunikation) (4 Min.). Anschließend denkt er über elementare Eigenschaften von Kommunikation nach, nämlich: Banalität, Flüchtigkeit, Relationalität (3:30 Min.), Reaktivität (4 Min.) und Unvermeidbarkeit (1:30 Min.). Anhand dieser Eigenschaft erläutert er uns auch beispielhaft seinen systemtheoretischen Zugang zu Kommunikation (Intention und System) (3:30 Min.), um dann über die notwendige Abstraktheit wissenschaftlichen Denkens und die (Un)Möglichkeiten einer allgemeingültigen Definition von Kommunikation zu reflektieren (5:40 Min.).
Die Verbreitung von Computer, Internet, Social Media und die damit einhergehenden Interaktions-Euphorien veranlassen Merten, sich in der Folge mit dem Verhältnis von Interaktion und Handeln (5:40 Min.) auseinanderzusetzen, aber auch mit Interaktion und Kommunikation (3:40 Min.) sowie mit dem Web 2.0 (2:30 Min.).
Damit gerät neuerlich der Kommunikationsprozess in den Gesprächsmittelpunkt. Zunächst (über Anleihen bei Luhmann und Habermas) mit dem Hinweis auf die Unsicherheit darüber, ob denn Kommunikation überhaupt jemals gelingen kann (5 Min.). Sodann mit der Frage, wo die Praxisrelevanz dieser erkannten Unsicherheit liegen könnte (3:30 Min) und schließlich in der Überzeugung, dass die Idee des (Habermas’schen) „Diskurses“ höchst praxisaffine Implikationen hat. (1:40 Min). Kritische Reflexionen zum Begriff Massenkommunikation runden diesen Gesprächsteil ab (6 Min.).
Im zweiten großen Teil des Gesprächs steht zu Beginn der Konstruktivismus (10 Min.) im Mittelpunkt, an dessen Implementierung in die Kommunikationswissenschaft Klaus Merten ja zu Beginn der 1990er Jahre maßgeblich beteiligt war (Fußnote 2). Er nimmt zunächst biografisch auf sein Verhältnis zum Konstruktivismus Bezug („ich hatte die konstruktivistische Zeit verschlafen“ (Fußnote 3) ), geht dann aber auch grundsätzlich auf den Stellenwert des Konstruktivismus für die Kommunikationswissenschaft ein. Daran anknüpfend kommt Public Relations (PR) (5 Min.) ins Gespräch – und zwar mit konstruktivistischem Unterton: Die PR-Leute werden schlicht zu Wirklichkeitskonstrukteuren geadelt, die so etwas wie eine „Lizenz zum Täuschen“ besitzen. Damit kommt unvermeidlich auch die Lüge ins Spiel (9 Min.), allerdings nicht nur in der PR, sondern auch in der Wissenschaft und in der Politik (10 Min).
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Fußnote 1: Merten, Klaus (1977): Kommunikation. Eine Begriffs- und Prozessanalyse. Opladen: West-deutscher Verlag.
Fußnote 3:Vgl. dazu Merten, Klaus/Schmidt, Siegfried J./Weischenberg, Siegfried (Hrsg.): Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Fußnote 2: Merten, Klaus (2007): Wissenschaft hat eine Kritikfunktion und muss unabhängig bleiben. In: Meyen, Michael/Löblich, Maria (Hrsg.): „Ich habe dieses Fach erfunden.“ Wie die Kommunikationswissenschaft an die deutschsprachigen Universitäten kam. 19 biografische Interviews. Köln: Halem: 314.334.
Keywords (de)
Kommunikation, Massenkommunikation, Publizistik, Medium, Reaktivität, Intention, Interaktion, Web 2.0, Luhmann, Habermas, Diskurs, System, Konstruktivismus, Öffentlichkeitsarbeit / Public Relations, Lüge, Wissenschaft, Politik