Abstract (deu)
Diese Arbeit hat das Ziel, das Italienbild bzw. die Italienbilder von Erzherzog Ferdinand Maximilian und deren Wandel nachzuzeichnen.
Ein erster Ansatzpunkt für mögliche Einflüsse auf das Italienbild des Erzherzogs ist dessen Erzieheung; diese bildet daher den Schwerpunkt des ersten Abschnitts, der Leben und Persönlichkeit Ferdinand Maximilians zum Inhalt hat. Hier zeigt sich, dass bereits „von der Wiege an“ versucht wurde, den kleinen Habsburgern Religiosität, österreichischen Patriotismus und die Idee des Gottesgnadentums als „Grundhaltungen“ beizubringen. Ebenso wurde ihnen bereits mit wenigen Jahren spielerisch die Kenntnis von Fremd¬sprachen vermittelt, indem man etwa auch ungarisch- oder tschechischsprachige Bedienstete einstellte. Die Wahl der Erzieher und des Ausbildungsprogrammes für Ferdinand Maximilian erfolgte durch seine Mutter, Erzherzogin Sophie, und Staatskanzler Metternich, wobei als Erzieher (u.a. für Philosophie und Geschichte) bevorzugt Geistliche oder zum Katholizismus Konvertierte herangezogen wurden; interessanterweise gab es jedoch auch eine Reihe von josephinistisch eingestellten Erziehern. Die Gegenständen Italienisch und Geschichte, die für die Entwicklung des Italienbildes von besonderem Einfluss sein konnten, wurden von zwei schillernden Persönlichkeiten unterrichtet: Zum einen vom „Austro-Italiener“ Johann-Baptist Bolza, der mehrere italienische Lehr- und Wörterbücher verfasst hatte, ansonsten aber auf der konservativ-katholischen Linie des Hofes lag, in Hinblick auf das Italienbild des Erzherzog scheint er keinen großen Einfluss ausgeübt haben. Die beiden Geschichtslehrer unterrichteten ihr Fach ebenso ganz im Sinne der Familie; der Unterricht kann demgemäß mit den Schlagworten konservativ-antiliberal, strikt katholisch, germanisch-deutsch und österreichisch-/habsburgisch-patriotisch umschrieben werden; während die ersten beiden Elemente bei Ferdinand Maximilian mittelfristig auf weniger fruchtbaren Boden fielen, ist der Gedanke, als Deutscher und Habsburger ein „höheres Wesen“ zu sein, in vielen Äußerungen des Erzherzogs, wie auch in der Konzeption seines Schlosses Miramar, dem ein Kapitel dieses Abschnitts gewidmet ist, gut nachzuvollziehen.
Der folgende Abschnitt ist dem Umfeld gewidmet, in welchem Ferdinand Maximilian den Zenit seiner österreichischen „Karriere“ erreichte: Dem Lombardo-Venetianischen Königreich, wobei die zweijährige Periode des General-Gouverneurats des Erzherzogs im Mittelpunkt steht. Dabei möchte ich zeigen, wie die politisch-administrativen und sozialen Entwicklungen des Vormärz im habsburg¬ischen Italien, insbesondere die klare zentralistische Ausrichtung und die Beschränkung der Mitwirkungsrechte auf die traditionellen Eliten, zunächst zur Revolution von 1848/49 und sodann zum Gegenschlag des Pendels in Richtung Neo¬absolutismus führten. Insbesondere wird deutlich, wie gering der Handlungsspielraum des vormärzlichen Vizekönigs und dessen Nach¬folgers, des General-Gouverneurs, tatsächlich waren: Sie waren in erster Linie zur Repräsentation und zu „höherem Glanze“ bestimmt, eigenständige Politik sollten sie nicht machen – diese war den Wiener Zentralstellen vorbehalten. Während sich Vizekönig Rainer mit diesen Gegeben¬heiten abfand, versuchte Ferdinand Maximilian als General-Gouverneur immer wieder, seinen Handlungsspielraum – sowohl gegen die Wiener Ministerien, wie auch gegen die allegegewärtigen Militärs – zu erweitern; dies soll mit Beispielen aus der „Geschichte des General¬gouvernements“, wie dem Vorschlag einer Kompetenzverschiebung zu seinen Gunsten und dem Versuch einer eigenständigen „Außenpolitik“ verdeutlicht werden. Neben diesen institutionellen Rahmenbe¬dingungen bildet das sozialen Umfeld, das der Erzherzog im Lombardo-Venetianischen Königreich vorfand, einen Schwerpunkt des zweiten Abschnitts: Zum einen stellt sich die Frage, wie hoch der Anteil an Italienern in der Beamtenschaft war (bis in die Reihen der Delegaten und Distriktskommissäre überraschend hoch!), bzw. – grundlegender – wie gut die Integration lokaler Eliten in den habsburgischen Staat gelungen war (erst ab dem späten Vormärz zeigt sich eine wachsende Distanzierung der Adeligen). Zum anderen frage ich nach dem persönlichen Umfeld des Erzherzogs während der Zeit in Norditalien: Hier versuchte er zwar, Italiener in seinen Hof¬staat einzubinden und bekannte italienische Intellektuelle als Berater zu gewinnen, darunter einige mit revolutionärer Vergangenheit. Doch erging es diesen Bemühungen, die lokalen Eliten einzubinden, ebenso wie den Emanzipationsbestrebungen auf institutioneller Ebene: Die letztlich unüberwindliche Kluft zwischen von außen vorgegebenem Können und eigenem Wollen konnte in der zweijährigen Amtszeit des Erzherzogs nicht geschlossen werden.
Im dritten Abschnitt wird schließlich auf Basis der Ergebnisse der vorangegangenen Abschnitten der Versuch gemacht, einige Elemente von Erzherzog Ferdinand Maximilians Italienbild zu analysieren; diese Analyse geschieht anhand zweier im Abstand von zehn Jahren verfasster (auto-)
biographischer Quellen: Zum einen anhand der „Reise-Skizzen“, einem als Tagebuch geführten und mit vielen Reflexionen versehenen Reise¬bericht des Habsburgers, aus welchem ich die Reisen der Jahre 1851 und 1852 nach Sizilien, Neapel und in die Toskana analysiert habe. Die zweite Quelle ist die „Geschichte des Generalgouvernements“, eine vom Innsbrucker Politiker und Universitätsprofessor Tobias Wildauer im Auftrag von und in enger Zusammenarbeit mit dem Erzherzog verfasste Gesamtdarstellung der beiden Jahre Ferdinand Maximilian als General-Gouverneur des Lombardo-Venetianischen Königreichs, die mit dem Ziel veröffentlicht werden sollte, den Erzherzog und dessen Tätigkeit zu rehabilitieren. Die beiden Quellen werden in ihrer Entstehungsgeschichte, ihrem Inhalt und Rezeption dargestellt, wobei die Unterschiede, was das Italienbild Ferdinand Maximilian betrifft, deutlich hervortreten: In den „Reise-Skizzen“ finden sich häufig subjektive Urteile, schroffe Wertungen und einseitigen Sichtweisen über Italien und „die Italiener“, während in der „Geschichte des Generalgouvernements“ eine auf das jeweilige Sachproblem bezogene, objektive Beschreibung des Landes und seiner Bewohner dominiert, die nur dann emotional wird, wenn der Erzherzog sich über die (wenigen) gelungenen Vorhaben freut oder aber (häufiger) sich mit seinen Anliegen in Wien unverstanden fühlt. Die Analyse des Italienbildes Ferdinand Maximilians erfolgt schließlich anhand dem von Jürgen Osterhammel entworfenen Schema dreier „Grundelemente kolonialistischen Denkens“, welches von ihm ursprünglich für eine grobe Gliederung von Weltsicht und Mentalitätslagen der Träger europä¬ischer Kolonialherrschaft in Afrika und Asien entwickelt wurde. Diese drei Elemente sind (1) Der unhinterfragte Glaube an anthropologisch begründete nationale Stereotypen und die daraus folgende Konstruktion von eigener Überlegenheit, inferiorer Andersartigkeit und unversöhnlicher Fremdheit; (2) Die Überzeugung, Teil einer zivilisatorischen Mission zu sein, die den „Anderen“ die Segnungen der Zivilisation bringen soll (bzw. muss), von Osterhammel „Sendungsglaube und Vormundschafts¬pflicht“ genannt; und schließlich (3) die Utopie einer politikfreien Verwaltung – also die Vorstellung, allein durch administrative Verbesserungen die Unzufriedenheit der „beherrschten“ Bevölkerung beseitigen zu können. Mit Hilfe dieser drei Elemente kolonialistischen Denkens untersuche ich dabei Beispielen aus den beiden Quellen, die auf das Italien- und Italiener-bezogene Denken und Wahrnehmen des Erzherzogs rekurrieren. Dabei unterliegen Teile des Italienbildes Ferdinand Maximilians einem tiefgehenden Wandel: Was das erste Element betrifft, ist der 19-jährige Erzherzog in der ersten Quelle etwa noch klar davon überzeugt, die andersartige Ausstattung der Italiener mit geistigen und körperlichen Gaben befähige sie nicht zu solchen (kulturellen, militärischen, organisatorischen etc.) Leistungen, wie sie einzig das nördliche Europa aufzuweisen habe. Während seiner Zeit als General-Gouverneur tritt hingegen auch der positive Teil im „Charakter der Italiener“ stärker hervor, der von der österreichischen Verwaltung stärker beachtet und geschätzt werden solle – aber auch hier, im Positiven, finden sich wiederum stereotype Zuschreibungen ohne Differenzierung; und auch hier tritt das Überlegenheitsgefühl des Aristokraten klar hervor: Das plötzlich positive Italienbild des Erzherzogs bezieht sich nämlich ausschließlich auf den Adel und die gebildeten Schichten. Eine ähnliche Ambivalenz lässt sich auch bei den beiden anderen Komponenten des Italienbildes Ferdinand Maximilians feststellen.
Und so fügt sich auch das Italienbild dieses Habsburgers in jene Beschreibung Claudio Magris’, der ihn in Kapitel III/9 seines „Mito asburgico“ einen „romantischen Reaktionär und aufgeklärten Liberalen, hin- und hergebeutelt von gegensätzlichen Wünschen, zur Hälfte gebildeter und moderner Fürst, zur Hälfte Walzerkönig“ nennt.