Abstract (deu)
Der Naschmarkt gilt als traditionellster Markt Wiens. Seit 1780 vor dem Freihaus am heutigen Karlsplatz gelegen, wurde er 1916 auf den eingewölbten Wienfluss verlegt, wo er sich heute noch befindet. In den Jahrzehnten nach 1945 sollte er einer Schnellstraße im Wiental Platz machen. Die Schnellstraße war ein altes Projekt, dessen Planungsgeschichte bis in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts zurückreicht und immer wieder zu Konflikten mit der Situierung des Naschmarkts führte. Erst 1975 wurde das Projekt verabschiedet.
Die zentrale Fragestellung der vorliegenden Arbeit ist: wie war es möglich, dass ein so traditioneller Markt, wie der Naschmarkt, in den 1960er und 1970er Jahren abgesiedelt werden sollte, um einer Schnellstraße Platz zu machen?
Ausgehend von dieser Fragestellung widmet sich die Arbeit den städtebaulichen Entwicklungen und Diskussionen rund um den Naschmarkt vom letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bis in die 1970er Jahre. Dabei wird auch nach dem Verhältnis gefragt, das ein Detailmarkt mit seiner städtischen Umgebung unterhält und wie sich die geänderten Rahmenbedingungen der Stadtplanung nach 1945 auf die Wiener Detailmärkte im Allgemeinen und den Naschmarkt im Besonderen auswirkten.
Die Frage nach dem Naschmarkt als Wiener Stadtraum in den 1960er und 1970er Jahren zu stellen, heißt aber auch Fragen zu Nahversorgung, Konsums, Technisierung der Haushalte, Preisbildung und Hygiene zu stellen. Die Arbeit legt dar, wie sich Entwicklungen in diesen Bereichen auf den Markt auswirkten und wie der Markt reagierte.
Der Markt war in einem hohen Ausmaß von Frauen dominiert. Sie stellten mehr als 70 Prozent der EinkäuferInnen und einen großen Teil der VerkäuferInnen. Es lässt sich zeigen, dass die „Hausfrauen“ den Markt und sein atmosphärisches Vermögen über den eigentlichen Einkauf hinaus als eine Form der Öffentlichkeit schätzten, die sie anderswo nicht finden konnten. Der Markt rückt dabei als urbaner Ort in den Blick.
Um dieselbe Zeit zeigen sich der Naschmarkt und seine Umgebung als Träger eines nächtlichen Lebens und eines Milieus des Dazwischens, dessen Anziehungskraft gleichermaßen auf Obdachlose, Halbweltliches, wie auf Künstler wirkte.
Schließlich gelingt es mit zeitgenössischen Quellen, wie den Akten des Wiener Marktamtes, den Blick für das Alltägliche und die materielle Zurüstung des Naschmarktes freizulegen.