Abstract (deu)
Ziel meiner Dissertation war es, mittels eines vergleichenden Ansatzes, den Einfluss sozialer Beziehungen auf soziales Lernen zu untersuchen. Ich arbeitete mit zwei phylogenetisch nahe verwandten Arten, Kolkraben (Corvus corax) und Turmdohlen (Corvus monedula). Dieser Arbeit lag die Hypothese zugrunde, dass Toleranz und eine enge soziale Verbindung zwischen Individuen deren soziale Lernleistung begünstigt. Die besten Voraussetzungen für den Austausch an Information bestünden zwischen Individuen, die zur selben Zeit am selben Ort sind, was in nicht-egalitär strukturierten Gruppen nur zwischen bestimmten Individuen der Fall wäre. Daher seien manche Demonstratoren für bestimmte Artgenossen einflussreicher als andere in Hinblick auf gerichtetes soziales Lernen, welches darüber hinaus der wahrscheinlichste Mechanismus sei mittels dessen sich Information innerhalb einer Gruppe verbreite. Raben- und Dohlengruppen sind nicht-egalitär strukturiert, wodurch die Wahrscheinlichkeit, dass gerichtetes soziales Lernen auftritt, erhöht wird. Zunächst analysierte ich die sozialen Beziehungen zwischen den unter Einjährigen unserer beiden handaufgezogenen und in Volieren gehaltenen Gruppen von Raben und Dohlen. Die Ergebnisse zeigten, dass Jungvögel beider Arten enge soziale Beziehungen mit ihren Nestgeschwistern unterhalten, also jenen Artgenossen mit denen sie gemeinsam in einem Nest handaufgezogen wurden. Detailliertere Analysen der Beziehungen zwischen Dohlen ergaben, dass diese als wertvolle Beziehungen bezeichnet werden können, die sich durch enge räumliche Nähe, gegenseitiges Füttern, Putzen und Berühren, Unterstützung bei agonistischen Interaktionen und gemeinsames Objektspiel charakterisieren lassen. Daher wurden die Vögel in darauffolgenden „stimulus enhancement“ Lernexperimenten in Dyaden getestet, deren Individuen entweder enge (Nestgeschwister) oder nicht enge (Nicht-Nestgeschwister) Beziehungen zueinander pflegen. Die Ergebnisse der Jungraben unterstützten die oben genannte Hypothese insofern als sie besser von ihren Nestgeschwistern als von ihren Nicht-Nestgeschwistern lernten. Gestützt werden diese Ergebnisse ebenso von der Nahrungsökologie von Raben. Raben verstecken ihre Nahrung zu einem großen Teil und die innerartliche Konkurrenz an monopolisierbaren Nahrungsressourcen ist hoch. Um Zugang zu Nahrung zu erlangen und um adäquate Strategien zum Schutz ihrer Verstecke zu entwickeln benötigen Raben Erfahrungen rund um ihre eigenen Verstecke mit potentiellen Versteck-Plünderern. Diese potentiellen Plünderer sind mit großer Wahrscheinlichkeit Individuen mit denen sie viel Zeit in unmittelbarer Umgebung verbringen, also ihre Nestgeschwister, wodurch der Wert der Nestgeschwister als relevante Informationsquelle erhöht wird, was gerichtetes soziales Lernen von denselben zweckmäßig erscheinen lässt. Im Gegensatz dazu lernten Dohlen in meinen Versuchen besser von Individuen, mit denen sie keine engen Beziehungen pflegen, also von Nicht-Nestgeschwistern und Nicht-Paarpartnern. Anders als Raben ernähren sich Dohlen vor allem von verstreuten Nahrungsressourcen, weshalb sie vor allem räumliche Information darüber benötigen wo die Nahrungssuche lohnt. Auch sie verbringen die meiste Zeit in unmittelbarer Umgebung zu jenen Individuen, mit denen sie enge Beziehungen pflegen (Nestgeschwister und Paarpartner), wodurch die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass diese Individuen ähnliche Informationen aus ihrer Umwelt beziehen als sie selbst. Räumlich weiter entfernte Individuen jedoch, also jene, zu denen keine engen Beziehungen unterhalten werden, könnten bei der Nahrungssuche andere Erfahrungen machen und daher unterschiedliche und/oder relevantere Information bieten. Das könnte deren Wert im Nahrungskontext erhöhen und in sozialem Lernen, welches auf sie gerichtet ist, resultieren. Selbst qualitativ ähnliche soziale Beziehungen zwischen juvenilen Raben und Dohlen bedingen somit nicht zwangsläufig ähnliche Ergebnisse im sozialen Lernen. Soziale Beziehungen sind nicht alleine für Lernmuster verantwortlich, sondern man muss vielmehr auch den Wert der räumlichen Verteilung aufgrund sozialer Beziehungen und die Nahrungsökologien verschiedener Arten in Betracht ziehen, um testbare Vorhersagen machen zu können wie sich die Beeinflussung von Verhalten durch soziales Lernen innerhalb einer Gruppe auswirken könnte.