Abstract (deu)
Die Stille als musikalisches Ausdrucksmittel spielt in der romantischen Gattung des Schubertschen Liedes eine wesentliche Rolle. Sie steigert die für die Paarung Klavier-Gesang so entscheidende Intimität, in welcher die Subtilitäten poetischer und musikalischer Inhalte der Lieder erst zur Geltung kommen. Die musikalische Stille tritt mit verschiedenen Gefühlen wie: Ruhe, Geborgenheit oder Erstarrung, Todesangst, Verzweiflung und Einsamkeit in Verbindung. Stille per se erweckt keine Gefühle, sondern hebt in der Musik oder im Text bereits vorhandene Affekte hervor. Die Stille kann sich musikalisch verschieden äußern. Der Bogen reicht von mensurierter Stille, über Stille als musikalischer Aura bis hin zu nicht mensurierten Stillemomenten innerhalb von Liedinterpretationen.
Die für die Gattung Lied bedeutendste Form ist jene einer Aura der Stille, welche von Schubert durch die Verwendung bestimmter harmonischer, melodischer und rhythmischer Strukturen erzeugt wird. Das an sich Paradoxe, dass tönende bewegte Musik Stille ausdrückt, wird von Schubert durch die Reduktion der Musik auf ihre Umrisse erreicht.
Gesangsstimme und Klaviersatz werden in Harmonie, Rhythmus und melodischem Verlauf auf ein Minimum reduziert. Einfachheit und Schlichtheit prägen die musikalischen Strukturen. Unabhängig von Pausen und der Dynamik des piano erzeugt Schubert somit ein Gefühl der Stille.
Die Verwendung der Stille als kompositorisches Mittel entspricht dem Zeitgeist und der Ästhetik des zu Schuberts Lebzeit erstarkenden Bürgertums. Dieses fand in der Beschäftigung mit Literatur und Musik einen Rückzugsort ins Private.