Abstract (deu)
Ziel dieser Arbeit ist, zu untersuchen wie die russischen Offiziere zwischen 1904 und 1906,also während des Russisch-Japanischen Krieges und der Revolution von 1905, von österreichisch-ungarischen Offizieren wahrgenommen wurden. Dadurch sollen Erkenntnisse über das russische Offizierskorps vor dem Ersten Weltkrieg ebenso gewonnen werden, wie über die beobachtenden k.u.k. Offiziere und deren Einschätzung der Leistungsfähigkeit ihrer potentiellen Kontrahenten wenige Jahre vor Kriegsausbruch. Dazu werden zunächst das österreichisch-ungarische Militärattachéwesen und die Arbeitsbedingungen und Aufgaben der Militär- und Kriegsattachés untersucht. Hier zeigt
sich, wie sehr die Tätigkeit der Attachés durch Improvisierung und individuelle Initiative geprägt war. Insbesondere gilt dies für die unmittelbar am Kriegsschauplatz anwesenden Beobachter, die sowohl hinsichtlich ihrer Aufgabenerfüllung vor Ort, als auch der Verbindung zu ihren Vorgesetzten in Wien vor große Herausforderungen gestellt wurden. Die Befassung mit dem Bild des russischen Offizierskorps unter k.u.k. Offizieren erfolgt
einerseits hinsichtlich struktureller Faktoren der Rekrutierung und Zusammensetzung des russischen Offizierskorps, andererseits bezüglich spezifischer Wahrnehmungen der Jahre
1904 bis 1906. Dabei kann festgestellt werden, dass das russische Offizierskorps von der k.u.k. Armee genau beobachtet wurde und Veränderungen oftmals sehr detailliert wahrgenommen wurden. Insbesondere im Zusammenhang mit dem Russisch-Japanischen Krieg gelangten die k.u.k. Offiziere so zu differenzierteren Darstellungen der Leistungen, Fähigkeiten und Eigenschaften der russischen Offiziere, als viele historiographische Arbeiten, die sich häufig stark auf Memoiren und Publikationen von Zeitgenossen stützten.
Dessen ungeachtet flossen in die Darstellungen der russischen Offiziere kulturelle Stereotype und Elemente übergeordneter Diskurse ein, die von Vorstellungen spezifischer
Eigenheiten der Russen geprägt waren. Teilweise nahmen diese die Form eines russischen „Anderen“ an, das im Gegensatz zur Norm europäischer oder westeuropäischer Staaten gedacht wurde. Der Unterschied zur eigenen Armee und den k.u.k. Offizieren wurde nicht nur wegen der eigenen Zuordnung zum Kreis der europäischen, nichtrussischen Armeen als sehr
groß empfunden, sondern auch in diversen Zusammenhängen konkretisiert. Verschiedene Eigenschaften, die das russische Offizierskorps mit den k.u.k. Offizieren teilte, wurden zwar
für sich genommen festgestellt, meist jedoch nicht als Gemeinsamkeiten anerkannt. Darüber hinaus erfuhren eben solche vermeintlichen Attribute des russischen Offizierskorps besondere Aufmerksamkeit, die als spezifisch russisch eingeschätzt wurden. Insgesamt entstand durch die Beschreibungen und Urteile der Attachés, noch mehr aber durch das Wirken der verschiedenen Fachmedien, ein Bild der russischen Offiziere, das sie nach innen wenig geschlossen und nach außen nur unzureichend leistungsfähig erscheinen ließ. Angesichts der Multiplikatorfunktion der Werke des Evidenzbüros und der Militärfachperiodika, kann davon ausgegangen werden, dass die Erfahrungen der Jahre 1904 bis 1906 auch unter weiteren Kreisen der k.u.k. Offiziere zu einer Geringschätzung des Ausbildungsstandes und der Fähigkeiten der russischen Offiziere führte und damit auch auf die Beurteilung der russischen Armee als potentiellen Gegner in einem europäischen Krieg einwirkte.