Abstract (deu)
Wie auch andere Föderationsrepubliken verabschiedete Tatarstan Anfang der 1990er Jahre ein Sprachgesetz, das Russisch und Tatarisch zu gleichberechtigten Staatssprachen erklärte, in der Praxis aber auf die einseitige Förderung des Tatarischen abzielte. Nach der Ansicht russischer und westeuropäischer Sprachwissenschaftler ist Tatarisch die strukturell und funktional höchstentwickelte Regionalsprache Russlands, während das Russische in Tatarstan allmählich an Bedeutung verliert. Dieser Umstand führt zu Konflikten mit der Russischen Föderation, die nach einer vergleichsweise liberalen Anfangsphase zunehmend auf die einseitige Förderung des Russischen und auf die Verdrängung ihrer Minderheitensprachen abzielt. Die vorliegende Arbeit analysiert und beschreibt die seit dem Zerfall der Sowjetunion in Tatarstan erfolgten sprachpolitischen Prozesse, die aktuelle Sprachsituation und die soziolinguistischen Folgeerscheinungen des russisch-tatarischen Sprachkontakts in Tatarstan. Die im Laufe dieser Arbeit vorgenommene Analyse zeigt, dass Tatarisch bei weitem nicht den von russischen Sprachplanern vorgegebenen, hohen Entwicklungsstand erreicht, auf sämtlichen Ebenen durch die russische Sprache verdrängt und auch nach wie vor hauptsächlich in der Rolle eines ethnischen Symbols verwendet wird. Vor allem die Tatsache, dass die tatarische Jugend ihre Muttersprache nicht mehr spricht, deutet darauf hin, dass das Tatarische langfristig vom Aussterben bedroht ist. Eine reale Lösung zur Umkehr dieses Prozesses bietet die Statusanerkennung des Tatarischen auf gesamtföderaler Ebene, was aber im Hinblick auf die erneuten sprachlichen Russifizierungsbestrebungen, die von Moskau ausgehen, in naher Zukunft nicht zu erwarten ist. Es bleibt zu hoffen, dass der Situation der Regional- und Minderheitensprachen in Russland in der ausländischen Sprachforschung zukünftig eine größere Bedeutung als bislang beigemessen wird.