Abstract (deu)
1933 hat Karl Kraus mit der ‚Dritten Walpurgisnacht‘ den Versuch unternommen, sich mit den Ereignissen in Deutschland, mit dem was seit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler mitten in Europa vor sich ging, auseinanderzusetzen. Doch nur allzu rasch musste er feststellen, dass seine Werkzeuge nicht länger funktionieren: dass dieser Gewalt nicht mit Satire und Ironie beizukommen ist, sein Text zu diesem Zeitpunkt keinerlei Nutzen haben, vielleicht sogar Schaden anrichten könnte. Kraus zog die Konsequenz aus dieser Erkenntnis – die „Dritte Walpurgisnacht“ blieb zu seinen Lebzeiten unveröffentlicht. Die vorliegende Arbeit stellt die Frage nach dem Nutzen, den dieser Text heute hat. Kraus‘ Auseinandersetzung mit Hitler und dem ‚Dritten Reich‘ basiert auf seiner Analyse nationalsozialistischen Sprachgebrauchs. Erstaunlich ist dabei die Vollständigkeit der Darstellung – im ersten Abschnitt dieser Arbeit kann gezeigt werden, dass Kraus‘ Text alle zentralen Charakteristika nationalsozialistischen Sprechens wahrnimmt. Die u.a. bei Victor Klemperer und Christian A. Braun formulierte These, dass die zentralen Charakteristika nationalsozialistischen Sprechens schon sehr früh ausgeprägt waren und sich im Laufe der 12 Jahre des Hitlerregimes nur geringfügig verändert und erweitert haben, kann anhand der ‚Dritten Walpurgisnacht‘ bestätigt werden. Doch die „Dritte Walpurgisnacht“ ist mehr als ein historisches Dokument – sie ist eine Leseschule. Kraus schuf einen Text, der nicht nur das Resultat seiner Beschäftigung mit nationalsozialistischem Sprachgebrauch ist, er beinhaltet auch den Prozess. Dem Leser soll sprachreflexive Kompetenz vermittelt werden. Der zweite Teil dieser Untersuchung widmet sich daher den Verfahren und Strategien, mittels deren Kraus nationalsozialistischen Sprachgebrauch in die „Dritte Walpurgisnacht“ integriert bzw. dechiffriert.