Abstract (deu)
Die primäre Aufgabe der vorliegenden Arbeit besteht darin, die Kontinuität der diachronen Entwicklung des Slavischen im Bereich der verbalen Morphologie dem modernen Wissensstand in Slavistik und Indoeuropäistik entsprechend systematisch zu erfassen. Das Augenmerk wird auf den diachronen Hintergrund der paradigmatischen Organisation, insbesondere auf die Mechanismen der Paradigmatisierung des urslavischen finiten Verbums gerichtet.
Die Untersuchung befasst sich somit zum einen mit den Eigentümlichkeiten der Entwicklung des urslavischen Verbalsystems, dessen Organisation nach der hier vertretenen Ansicht auf der Differenzierung der Aoristbildungstypen in Kombination mit dem bevorzugten Präsensbildungstyp beruht. Zum anderen bringt sie die (nach den gegenwärtigen Möglichkeiten) Vollständigkeit erstrebende Belegung der Aoristbildungen und der Formen des Partitipium Praeteriti Passivi im klassischen Altkirchenslavischen. Die Entwicklung der urslavischen Verbalparadigmen wurde einerseits durch die philologische Evidenz des Altkirchenslavischen und der Kognatsprachen, andererseits unter Berücksichtigung des prosodisch-akzentologischen Materials der modernen slavischen Sprachen erschlossen. Bei der Untersuchung der Herleitungswege der slavischen Aoriste, sowie der ihnen zugehörigen Präsentia machen sich bestimmte konstante Entwicklungsmuster bemerkbar, die die Entstehung der paradigmatischen Klassen geprägt haben dürften. Der Kern jedes urslavischen Aoristtyps geht nachweislich auf einen bestimmten indoeuropäischen Stammbildungstyp zurück, wobei sich bei der Klassenpräferenz ein symmetrisches System erkennen lässt. Ausschlaggebend dabei ist die Frage, ob die primäre Stammbildung des zugrunde liegenden ieu. Verbs ‚aoristisch’ oder ‚präsentisch’ aufzufassen ist, und daraus folgend, welche der beiden morphologisch (im Ursl. auch prosodisch) markiert ist. Auf dieser Differenzierung in Kombination mit dem synchronen Faktor (ob der „primäre“ Stamm im Urslavischen konsonantisch oder vokalisch ausgeht) beruhen die intraparadigmatischen Oppositionen zwischen den Aorist- und Präsensklassen. Somit werden einzelne Stammbildungstypen im Altkirchenslavischen nicht nur synchron, sondern auch diachron gesehen ‚motiviert’. Zugleich werden klare entwicklungsbedingte Oppositionsverhältnisse zwischen den Aorist- bzw. Präsensklassen festgestellt.
In der Arbeit werden unter anderem manche kleineren Probleme in der Entwicklung des slavischen Verbalsystems, wie zum Beispiel die Rolle von VAN WIJK’s Regel und von MEILLET’s Gesetz, sowie die Entstehung der Mischparadigmen diskutiert.