Abstract (deu)
Es geht um die Frage, welche Gründe und Umstände den Erfolg des Monopolfilm-Gespanns Gad/Nielsen bedingten. Waren die Leinwandgeschichten des dänischen Regisseurs von besonderem Einfallsreichtum geprägt oder verdankte Gad seinen Erfolg dem grazilen Auftreten seiner Hauptdarstellerin Asta Nielsen und einem sensationshungrigen Publikum, das kurz zuvor noch scharenweise in die Varietés und Wanderkinos geströmt war?
Im ersten Abschnitt des dritten Kapitels werden die beiden Hauptverantwortlichen der relevanten Filme, Urban Gad und Asta Nielsen, das Ausmaß ihrer Zusammenarbeit und ihr Einfluss auf die Filmwerbung vorgestellt. Die Frage, wem für die künstlerische Umsetzung der Drehbücher Respekt zollt, kann dabei nur oberflächlich beantwortet werden. In Kapitel 3.2 folgt eine bündige Zusammenfassung über die Entstehung des längeren Spielfilms. Kurze Vergleiche zu den Ergebnissen der Gießener Programmanalyse sowie Loiperdingers Erforschung des bahnbrechenden Einflusses von ABGRÜNDE auf die Werbemittel der Kinobesitzer unterstützen eine argumentative Verbindung zum Wesen und zur gesellschaftlichen Bedeutung der Institution Kino im Allgemeinen. Begriffe wie „Zeitspiegel“, „Schaulust“ und „Identifikationsfläche“ fallen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, was die Faszination des Kinematographen ausmachte und wieso er als kulturelle Einrichtung bis heute erhalten blieb.
Gründe für den Erfolg der Institution Kino werden in der unterstützenden Kraft für die Schnelllebigkeit des beginnenden Industriezeitalters gesehen. Alle vier bis sechs Wochen kam mit dem Monopolsystem ein neuer Nielsen-Film in die Kinos. Während der Sommerflaute wurden sie erneut ins Programm genommen. Elsaesser weist innerhalb seiner Überlegungen zum Kino auf den Begriff der „Zerstreuung“ als „Wahrnehmungsmodus“ hin. ABGRÜNDE galt als Initialzündung für die Etablierung des Monopolfilms und die Geburt des kommerzialisierten Starsystems am Beispiel Asta Nielsen. Ihr „Präsentations-Mehrwert“ begründete eine neugeschaffene Art des Marketings. Das Publikum des frühen Kinos vergrößerte sich nachweislich auch durch die sozialen Dramen mit der dänischen Schauspielerin und bekam durch ihren Facettenreichtum eine große Identifikationsfläche für innere Triebe, Sehnsüchte und gesellschaftliche Konflikte geboten.
Das vierte Kapitel geht detailliert auf sechs ausgewählte Kinodramen Urban Gads aus der Zeit von 1911 bis 1914 ein und untersucht diese auf Identifikationsmöglichkeiten des zeitgenössischen (weiblichen) Publikums hin. Es soll deutlich werden, wo die thematischen Schwerpunkte in den Filmen von Urban Gad ab 1911 zu finden sind, inwieweit es sich bei dem dargestellten Milieu gegebenenfalls um einen Zeitspiegel handelt und wo die Rolle der Frau sowohl im Film als auch in der Rezeption zu verorten ist. Das Motiv der weiblichen Selbstbestimmung soll speziell anhand der spezifischen Filmanalysen von DER FREMDE VOGEL und anderen Kinodramen Gads deutlich werden. Folgende Fragen begleiten die Analyse: Welche Psychologie wird durch die von Asta Nielsen verkörperten Figuren sichtbar? Wer trifft die Entscheidung der weiblichen Hauptfigur zwischen Lust und Pflicht?
Die Darstellung der einzelnen Filme mag stellenweise verstärkt deskriptiv sein. Weil die Kenntnis des Inhalts nicht als gegeben vorausgesetzt werden kann und es dem Verständnis der analytischen Details dient, war es die Intension der Autorin, den szenischen Kontext in seiner Genauigkeit wiederzugeben.
Die Aufgabe in Kapitel 4.2 besteht darin, Gemeinsamkeiten und Individualität der sechs weiblichen Hauptfiguren zu präzisieren. Folgende Fragen sollen beantwortet werden: Welches sind die wesentlichen Konflikte, mit denen sich die Frauen konfrontiert sehen? Lassen sich Gads Überlegungen zur Figurenkonstellation, Wirkung der Hauptfigur und Bedeutung des Filmtitels in seiner praktischen Filmarbeit belegen?
Im fünften Kapitel liegt der Fokus auf dem Gießener Kinoprogramm, das sich jedoch zweifellos nicht als repräsentativ versteht. Vielmehr wurden einzelne Anzeigen ab 28. Januar 1911 aus dem Gießener Anzeiger (Generalanzeiger für Oberhessen) gesichtet, die aufzeigen, mit welcher Verzögerung im Vergleich zur Berliner Uraufführung die für den gegenwärtigen Forschungskorpus relevanten Gad-Filme in den Gießener Kinos Kinematograph, Biograph, Bakofs Kammerlichtspiele u.a. liefen, welche Spieldauer sich nachweisen lässt und wie stark die Kinodramen beworben wurden.
Die Einbeziehung der Gießener Lokalstudie liegt im Interesse der Autorin begründet, die theoretische Faszination um das Gesicht der erfolgreichen Filme von Urban Gad anhand primärer Quellen zur Programmierung der Dramen in einem praxisorientierten Abschnitt nachzuzeichnen.
Hier wird noch einmal prägnant das Besondere der Gad-Filme herausgestellt, das Individuelle der einzelnen Hauptfiguren erklärt und verständlich gemacht, wie es dem Regisseur und der Akteurin gelang, mit ihren Filmen den "Nerv der Zeit" zu treffen.