Abstract (deu)
Der europäische Integrationsweg hat mit dem Vertrag von Lissabon seinen bisherigen Höhepunkt erfahren. Doch das Ringen um ein Verfassungsvertragswerk, das von der ersten Ratifizierung des gescheiterten Vertrags über eine Verfassung für Europa (VVE) im November 2004 bis hin zur gerichtlich erzwungenen Unterschrift des tschechischen Präsidenten Václav Klaus im November 2009 fünf Jahre in Anspruch nahm, hinterlässt Zweifel an einer möglichen weiteren Vertiefung der europäischen Integration. Diese Arbeit hat sich das Ziel gesetzt, aus dem Blickwinkel der eindrücklichen konstitutionellen Divergenz in den einzelnen Mitgliedstaaten die verfassungsrechtlichen Hintergründe, Hürden und Hindernisse der Integrationsfähigkeit darzustellen, aber auch die Möglichkeiten aufzuzeigen, die den nationalen Verfassungsgerichten in den einzelnen Mitgliedstaaten eröffnet werden, auf die Gestaltung der europäischen Integration Einfluss zu nehmen.
Vor diesem Hintergrund wird die Arbeit von folgenden Thesen getragen:
1. Die nationalen Verfassungen der Mitgliedstaaten sind durch ihre jeweilige Souveränitätsgeschichte bedingt.
2. Der Fortgang der europäischen Integration hängt stark von den nationalen Verfassungen und damit von der Souveränitätsgeschichte der Mitgliedstaaten ab und ist nur im Rahmen der jeweiligen nationalen Verfassungsstrukturen möglich.
3. Die divergierenden Anforderungen und systemimmanenten Integrationshemmnisse der nationalen Verfassungen führen zu verfassungsrechtlichen Hürden und Schranken im Rahmen der europäischen Integration.
4. Die nationalen Verfassungsgerichte können im Rahmen ihrer nationalen Kompetenzen zu gewichtigen Vetospielern in Bezug auf die europäische Integration werden.
5. Je fortgeschrittener die europäische Integration sein wird, desto eindeutiger werden die Eingriffe in die Souveränität und damit in die Verfassungen der Mitgliedstaaten und desto gewichtiger wird die Rolle der entscheidungsberufenen nationalen Verfassungs¬gerichte als Vetospieler im Rahmen der Europäischen Integration sein.
Im ersten Teil wird die Verfassungsgeschichte in Europa als Geschichte der Souveränität der einzelnen Staaten dargestellt. Es werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der jeweiligen nationalen Verfassungskultur herausgearbeitet, um die aktuellen Verfassungskonzeptionen verständlich zu machen.
Im zweiten Teil werden exemplarisch die unterschiedlichen Voraussetzungen und Schutzmechanismen aufgezeigt, welche die jeweiligen Verfassungen zur Sicherung ihrer Kompetenzen vorsehen. Hier geht es va um die Frage, inwiefern nationale Verfassungen überhaupt eine Integration zulassen, bzw an welche verfassungsrechtlichen Grenzen die fortschreitende Integration stoßen kann. Daran anschließend werden die unterschiedlichen Sichtweisen der Mitgliedstaaten auf das EU-Recht dargestellt, um daraus Schlussfolgerungen auf die Integrationsgesetzgebung der Länder ziehen zu können. Schließlich werden anhand der Systeme nationaler Verfassungsgerichtsbarkeit die divergierenden nationalen Möglichkeiten einer gerichtlichen Geltendmachung von möglichen Verfassungsverstößen dargestellt, um die Haltungen der Höchstgerichte in Bezug auf die Vorrangdebatte zu verstehen.
Im dritten Teil wird mit Bezug auf den gescheiterten VVE und auf den in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon anhand der Rechtsprechung der höchsten nationalen Gerichte Spaniens, Deutschlands und der Tschechischen Republik die aktuelle Diskussion zum Verhältnis von nationalem Recht und Unionsrecht dargestellt.
Durch die Erläuterung der Souveränitätsgeschichte der Staaten der EU in ihrer heutigen Form, durch die Darstellung einer eindrücklichen Divergenz in den Verfassungsstrukturen der Mitgliedstaaten im Rahmen eines Vergleichs dieser Verfassungsstrukturen – in bewusst exemplarischer Weise – und schließlich durch die Darstellung der nationalen Verfassungsrechtsprechung dreier ausgewählter Mitgliedstaaten mit aktuellstem Bezug, wird anhand der oben dargestellten fünf Thesen einerseits die unterschiedliche konzeptionelle Sicht- und Vorgehensweise der einzelnen Staaten in Bezug auf die europäische Integration verdeutlicht, andererseits wird ein Erklärungsversuch unternommen, warum einzelne EU-Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Integrationsrechtsprechung eine hervorgehobene Stellung einnehmen können und diese auch einnehmen.
In einer abschließenden Betrachtung wird am Ende der Arbeit auf Grundlage der dargestellten Erwägungen auch die Frage beantwortet, ob der zu beschreitende Integrationsweg politisch getragen ist oder primär verfassungsrechtlichen Vorgaben folgt.