Abstract (deu)
Das Exempel, das der Vermittlung einer Lehre dient, spielt in der mittelalterlichen Literatur eine große Rolle. Dies belegen auch die zahlreichen in dieser Zeit entstandenen Exempelsammlungen wie etwa die Disciplina clericalis des Petrus Alfonsi und die anonymen Gesta Romanorum. Das Exempel verfügt über immer wiederkehrende Kennzeichen, von denen seine Kürze, seine Figuren, die nicht mehr als Typen sind, und seine Darstellung einer einfachen, beispielhaften Welt die wichtigsten sind.
Auch Heinrich Kaufringer, dessen Texte zwischen dem Ende des 14. und dem Beginn des 15. Jahrhunderts entstehen, verfasst mit „Der bekehrte Jude“ und „Die halbe Decke“ zwei Erzählungen, die ganz in der Tradition des mittelalterlichen Exempels stehen.
Doch neben diesen beiden Exempeln im „herkömmlichen“ Sinn findet sich bei Heinrich Kaufringer mit „Der feige Ehemann“ eine Erzählung, in der die traditionelle exemplarische Erzählweise größtenteils aufgegeben wird, was unter anderen Veränderungen vor allem dadurch deutlich wird, dass die erzählte Geschichte nicht mehr eindeutig zu der zu vermittelnden Lehre passt. Das exemplarische Erzählen wird brüchig, wodurch sich „Der feige Ehemann“ der Boccaccio’schen Novelle annähert. In diesem Sinn nimmt die Erzählung eine Position zwischen dem älteren Exempel und der neueren Novelle ein.
Wie die in dieser Arbeit vollzogenen Textanalysen gezeigt haben, hat Heinrich Kaufringer ein sehr komplexes Werk geschaffen, das sowohl mittelalterliche als auch neu entstehende Erzähltraditionen in sich vereint.