Die vorliegende Arbeit präsentiert drei Stücke der québeker Theaterregisseurin und Schauspielerin Marie Brassard, die in ihren Solostücken die Dimensionen der menschlichen Stimme auslotet.
Zunächst wird ein kurzer Überblick über die Theatergeschichte und wichtige historische Ereignisse in Québec gegeben, um die Entwicklungen des relativ jungen québeker Theaters aufzuzeigen. Während der Zeit der europäischen Kolonisierung nahm das Theater einen marginalen Platz in der kulturellen Landschaft der Provinz ein und wurde vom Klerus kontrolliert, sodass etwa moralisch „anstößige“ Stücke der Zensur zum Opfer fielen. Das frankokanadische Theater dieser Zeit war auch noch stark von den Traditionen und Strömungen des europäischen Theaters beeinflusst und konnte sich – zumindest im Französischen – noch nicht von der europäischen Theatertradition lösen.
Im Verlauf der „stillen Revolution“ in den 1960er Jahren konnten sich – unter anderem durch die Verwendung des Joual – eine „québeker“ Identität und in der Folge eine québeker Theatertradition herausbilden. In den darauf folgenden Jahrzehnten waren es vor allem Kollektivtheatertruppen, die mit neuen Theaterformen und –stilen experimentieren. In diesem Kontext begann auch Marie Brassard ihre Karriere als Schauspielerin: nach Absolvieren des Conservatoire d’Art Dramatique de Québec arbeitete sie lange Zeit mit Robert Lepage, der mit seinen multimedialen Theaterinszenierungen internationale Berühmtheit erlangte. Im Jahr 2001 gründete sie ihre eigene Produktionsfirma Infrarouge in Montréal, mit der sie bis heute insgesamt sechs Theaterprojekte realisiert hat.
Ihre ersten drei Arbeiten, die „Stadttrilogie“, wurden zuerst unter formalen Aspekten mithilfe der von Hans-Thies Lehmann definierten postdramatischen Theaterzeichen analysiert.
In ihrem ersten Solostück Jimmy – Traumwesen aus dem Jahr 2001 beschäftigt sich Marie Brassard mit Thematiken wie Kontrollverlust, Körpertransformationen, Verlustängsten, Traum und Wirklichkeit, Liebe und Tod. Anhand der Hauptfigur Jimmy, einem homosexuellen Friseur aus New York, der einem amerikanischen General und im Verlauf des
Stücks einer montréaler Schauspielerin im Traum erscheint, zeigt Marie Brassard die Konstruiertheit von (Geschlechts)Identität. Die Transformationen, die Jimmy in diesen Träumen durchläuft, zeigen sein ständiges Wandeln, sein Frau-Werden, Tier-Werden, das Deleuze und Guattari in ihren Werken Anti-Ödipus und Tausend Plateaus beschrieben haben. Die feministische Philosophin Elizabeth Grosz hat mit ihrem Konzept der volatilen Körper in Bezug auf Deleuze und Guattari das ständige Werden und Transformieren des menschlichen Körpers beschrieben, das durch Jimmy im Stück ad extremum geführt wird. Durch die
Stimmtransformation und die Verwandlungen seines Körpers repräsentiert Jimmy die Zersetzung und Auflösung der Identität und kann auch als Metapher für „den“ Schauspieler interpretiert werden, der – wie Jimmy im Traum –auf der Theaterbühne erscheint und sein Selbst negiert, um die Rollen anderer verkörpern zu können.
In Die Dunkelheit, dem zweiten Teil der Trilogie, beschäftigt sich Brassard mit persönlichen Erlebnissen, nämlich der Gentrifikation ihres montréaler Wohnviertels und dem Verlust ihres besten Freundes, die mit einer fiktionalen Geschichte verwoben werden und so eine komplexe Handlung entsteht. Das Stück wurde für zwei Darsteller geschrieben, die beide durch Stimmmodulation (mithilfe eines Vocoders) alle Rollen verkörpern; Projektionen von Cécile Babiole untermalen die Hauptthematik des Stücks, die Dunkelheit, die als Metapher für Vergessen und Verstummen gelesen werden kann. In diesem Zusammenhang wurde auch anhand des benjaminschen Begriffes der Aura und den von Gernot Böhme beschriebenen Atmosphären verdeutlicht, dass auch dieses Stück einen Metadiskurs über Theater – nämlich Räumlichkeit und Ereignishaftigkeit – enthält.
Peepshow, das letzte Solostück der Stadttrilogie, handelt erneut von der Suche nach Liebe und Anerkennung und setzt in kurzen Episoden Figuren verschiedensten Alters und sexueller Orientierungen in Szene, die alle von Marie Brassard gespielt werden. Die Schauspielerin verwendet erneut den Vocoder, anhand dessen ihre Stimme elektronisch verändert wird, Projektionen und Nahaufnahmen ihres Körpers illustrieren den sonst kargen Bühnenraum und lassen die Stimme in den Vordergrund treten. Im Anschluss wurden die Blickregie und der Einfluss von filmischen Schreibweisen im Theater von Marie Brassard analysiert.
Im Folgenden wurden Intermedialität und Intertextualität in den einzelnen Theaterstücken herausgearbeitet und nach einer kurzen Einführung in die Gender-Theorien von Judith Butler wurden die beiden Solostücke Jimmy und Peepshow in Hinblick auf Geschlechterperformanzen untersucht.
Die vorliegende Arbeit präsentiert drei Stücke der québeker Theaterregisseurin und Schauspielerin Marie Brassard, die in ihren Solostücken die Dimensionen der menschlichen Stimme auslotet.
Zunächst wird ein kurzer Überblick über die Theatergeschichte und wichtige historische Ereignisse in Québec gegeben, um die Entwicklungen des relativ jungen québeker Theaters aufzuzeigen. Während der Zeit der europäischen Kolonisierung nahm das Theater einen marginalen Platz in der kulturellen Landschaft der Provinz ein und wurde vom Klerus kontrolliert, sodass etwa moralisch „anstößige“ Stücke der Zensur zum Opfer fielen. Das frankokanadische Theater dieser Zeit war auch noch stark von den Traditionen und Strömungen des europäischen Theaters beeinflusst und konnte sich – zumindest im Französischen – noch nicht von der europäischen Theatertradition lösen.
Im Verlauf der „stillen Revolution“ in den 1960er Jahren konnten sich – unter anderem durch die Verwendung des Joual – eine „québeker“ Identität und in der Folge eine québeker Theatertradition herausbilden. In den darauf folgenden Jahrzehnten waren es vor allem Kollektivtheatertruppen, die mit neuen Theaterformen und –stilen experimentieren. In diesem Kontext begann auch Marie Brassard ihre Karriere als Schauspielerin: nach Absolvieren des Conservatoire d’Art Dramatique de Québec arbeitete sie lange Zeit mit Robert Lepage, der mit seinen multimedialen Theaterinszenierungen internationale Berühmtheit erlangte. Im Jahr 2001 gründete sie ihre eigene Produktionsfirma Infrarouge in Montréal, mit der sie bis heute insgesamt sechs Theaterprojekte realisiert hat.
Ihre ersten drei Arbeiten, die „Stadttrilogie“, wurden zuerst unter formalen Aspekten mithilfe der von Hans-Thies Lehmann definierten postdramatischen Theaterzeichen analysiert.
In ihrem ersten Solostück Jimmy – Traumwesen aus dem Jahr 2001 beschäftigt sich Marie Brassard mit Thematiken wie Kontrollverlust, Körpertransformationen, Verlustängsten, Traum und Wirklichkeit, Liebe und Tod. Anhand der Hauptfigur Jimmy, einem homosexuellen Friseur aus New York, der einem amerikanischen General und im Verlauf des
Stücks einer montréaler Schauspielerin im Traum erscheint, zeigt Marie Brassard die Konstruiertheit von (Geschlechts)Identität. Die Transformationen, die Jimmy in diesen Träumen durchläuft, zeigen sein ständiges Wandeln, sein Frau-Werden, Tier-Werden, das Deleuze und Guattari in ihren Werken Anti-Ödipus und Tausend Plateaus beschrieben haben. Die feministische Philosophin Elizabeth Grosz hat mit ihrem Konzept der volatilen Körper in Bezug auf Deleuze und Guattari das ständige Werden und Transformieren des menschlichen Körpers beschrieben, das durch Jimmy im Stück ad extremum geführt wird. Durch die
Stimmtransformation und die Verwandlungen seines Körpers repräsentiert Jimmy die Zersetzung und Auflösung der Identität und kann auch als Metapher für „den“ Schauspieler interpretiert werden, der – wie Jimmy im Traum –auf der Theaterbühne erscheint und sein Selbst negiert, um die Rollen anderer verkörpern zu können.
In Die Dunkelheit, dem zweiten Teil der Trilogie, beschäftigt sich Brassard mit persönlichen Erlebnissen, nämlich der Gentrifikation ihres montréaler Wohnviertels und dem Verlust ihres besten Freundes, die mit einer fiktionalen Geschichte verwoben werden und so eine komplexe Handlung entsteht. Das Stück wurde für zwei Darsteller geschrieben, die beide durch Stimmmodulation (mithilfe eines Vocoders) alle Rollen verkörpern; Projektionen von Cécile Babiole untermalen die Hauptthematik des Stücks, die Dunkelheit, die als Metapher für Vergessen und Verstummen gelesen werden kann. In diesem Zusammenhang wurde auch anhand des benjaminschen Begriffes der Aura und den von Gernot Böhme beschriebenen Atmosphären verdeutlicht, dass auch dieses Stück einen Metadiskurs über Theater – nämlich Räumlichkeit und Ereignishaftigkeit – enthält.
Peepshow, das letzte Solostück der Stadttrilogie, handelt erneut von der Suche nach Liebe und Anerkennung und setzt in kurzen Episoden Figuren verschiedensten Alters und sexueller Orientierungen in Szene, die alle von Marie Brassard gespielt werden. Die Schauspielerin verwendet erneut den Vocoder, anhand dessen ihre Stimme elektronisch verändert wird, Projektionen und Nahaufnahmen ihres Körpers illustrieren den sonst kargen Bühnenraum und lassen die Stimme in den Vordergrund treten. Im Anschluss wurden die Blickregie und der Einfluss von filmischen Schreibweisen im Theater von Marie Brassard analysiert.
Im Folgenden wurden Intermedialität und Intertextualität in den einzelnen Theaterstücken herausgearbeitet und nach einer kurzen Einführung in die Gender-Theorien von Judith Butler wurden die beiden Solostücke Jimmy und Peepshow in Hinblick auf Geschlechterperformanzen untersucht.