Abstract (deu)
Im Zentrum dieser Arbeit steht der Einfluss des sozialistischen Bildungs- und Erziehungsdiskurses auf die Belletristik der proletarischen, österreichischen Kinder- und Jugendliteratur der Ersten Republik, die zwischen November 1918 und Februar 1934 entstanden ist. Meine These lautet hierzu, dass sich der „Neue Mensch“, welcher das Hauptziel der sozialistischen Erziehung darstellte, als klar und kritisch denkender, sittlich freier und solidarisch handelnder Mensch, der auf gewaltlosem Wege die klassenlose Gesellschaft errichten möchte, in kinderliterarischen Werken von Autoren im Umfeld der Sozialdemokratie nachweisen lässt. Da sich in den Texten der sozialistischen Bildungstheoretiker zwar wenige, aber doch Hinweise dafür finden, dass mittels neuen, sozialistischen Büchern für Kinder und Jugendliche der „Neue Mensch“ erzogen werden soll, bin ich daran gegangen, meinen Textkorpus, der aus sechs Werken dieser Zeit besteht, auf den erziehungswissenschaftlichen Einfluss hin zu untersuchen. Dabei fällt auf, dass sich in dieser Literatur eine Entwicklung der sozialistischen Erziehungsvorstellungen abzeichnet, die sich am besten innerhalb eines Drei-Phasen-Modells beschreiben lässt. Die erste Phase umfasst den Zeitraum zwischen 1920 bis 1925 und trägt den Titel „Lebensreform und Lebenshilfe“. Hier spiegeln sich insbesondere die lebensreformatorischen Bestrebungen der Kinderfreunde, die auch Teil des Diskurses des „Neuen Menschen“ sind, wider. Das Jugendbuch von Anton Afritsch „Ins neue Leben und andere ernste Erzählungen für die reifere Jugend“ und Otto Felix Kanitz’ Kinderbuch in Versen „Nazi und der Bücherwurm“ müssen in diesem Zusammenhang genannt werden. In der zweiten Phase wiederum, die sich in der Zeit von 1924 bis 1930 ausmachen lässt, steht das Genre „Märchen“ im Zentrum der Diskussion für eine Entwicklung zu einer eigenständigen proletarischen Kinder- und Jugendliteratur. Als Beispiele für diese Phase fungieren Josef Pazelts Werk „Zizibe. Ein Wintermärchen für blonde und graue Kinder“ und das von Alois Jalkotzy aufgezeichnete Märchen „Die verwünschte Fabrik“. Erst in der letzten Phase, die sich zwischen 1927 und 1931 fixieren lässt, ist das Bild des „Neuen Menschen“ nachweisbar. Im Zuge einer Reise wird über das Desillusionierungsmotiv ein Entwicklungsprozess, der sich im Vorgang der Selbsterziehung und Selbsterkenntnis vollzieht, in Gang gesetzt, an dessen Ende der „Neue Mensch“ steht. Denn sowohl Anton Tesareks „roter Kasperl“ in „Kasperl sucht den Weihnachtsmann“ als auch Fritz Rosenfels Tirilin in „Tirilin reist um die Welt. Eine Erzählung für denkende Kinder“ vereinen die Fähigkeiten des klar und kritisch denkenden, sittlich freien und solidarisch handelnden Menschen in sich. Allerdings ist nur Tirilin schlussendlich als Sinnbild des „Neuen Menschen“ zu verstehen, da sich dieser auch als Erbauer der zukünftigen, klassenlosen Gesellschaft sieht.