Abstract (deu)
Abstract
In der vorliegenden Arbeit werden die Theorien Ludwig Wittgensteins und Jacques Lacans zum Thema „Sprache, Wirklichkeit und Subjekt“ untersucht. Am Beispiel ihrer theoretischen Ansätze werden die epistemologischen und subjektkonstitutiven Implikationen ausgelotet, die mit der „sprachkritischen Wende“, dem Paradigmenwechsel von der Bewusstseinsphilosophie zur Sprachphilosophie in den Geistes- und Sozialwissenschaften, verbunden sind.
Wittgenstein und Lacan gelten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, als Protagonisten des linguistischen Paradigmas. Ihre Ansätze können als zwei Spielarten des linguistic turn verstanden werden. Obwohl sie Vertreter völlig unterschiedlicher Fachrichtungen sind - Analytische Sprachphilosophie und Strukturale Psychoanalyse - lassen sich in ihren Denkansätzen eine Reihe an Berührungspunkten ausmachen, die im Verlauf und verstärkt gegen Ende der Arbeit diskutiert werden. Es zeigt sich, dass ihre Sprachkonzeptionen und ihre Positionen bezüglich des Subjekts Gemeinsamkeiten aufweisen. Konkret werden sich Ähnlichkeiten hinsichtlich ihrer Betonung der wirklichkeitskonstitutiven Funktion von Sprache, ihrer Einwände gegen die mentalistische Bedeutungstheorie, ihrer Kritik am Privatheits-Postulat und ihrer Auseinandersetzung mit dem kartesianischen Cogito feststellen lassen. Grundlegende Unterschiede in ihren Auffassungen werden dabei selbstverständlich nicht außer Acht gelassen. Der Versuch einer komparatistischen Miniaturstudie zu Kon- und Divergenzen im Denken Ludwig Wittgensteins und Jacques Lacans gliedert sich ein in eine umfassende Darstellung und ausführliche Erörterung der Positionen der beiden Denker zu den titelgebenden Begriffen: Sprache, Wirklichkeit und Subjekt. Anhand von Wittgensteins Sprachspielkonzeption werden zunächst grundlegende Fragen der Sprachsozialisation, des Erstsprachenerwerbs mit seiner Pädagogik des „Abrichtens“ sowie Ansätze zum Regelfolgen erörtert. Da im primitiv-fundamentalen Spracherwerb nach Wittgenstein keine Überlegungen, d.h. keine expliziten Regeln und Begründungen, involviert sind, sondern es um den Ausbau eines primitiven Benehmens geht, bezeichnet er diese Art der Konditionierung als „Abrichtung“. Im Zuge der Erörterung wird es darum gehen diesen semantisch vorbelasteten Terminus in ein rechtes Licht zu rücken und Wittgensteins Gründe für seine Verwendung zu beleuchten. Da für Wittgenstein sprachliche Kompetenz auch eine Form von Wissen darstellt, wird in der Folge seine Strukturierung unseres epistemischen Vokabulars und damit einhergehend sein in den Philosophischen Untersuchungen und in Über Gewissheit vorgelegter Entwurf einer möglichen Beschreibung der Struktur unseres Wissens diskutiert. Besonderes Augenmerk gilt hier der Frage, welche Voraussetzungen und „zwingenden“ Implikationen jene Begriffs- bzw. Wissensstruktur besitzt. Im Anschluss an eine Analyse seines vieldiskutierten „Privatsprachenarguments“, in dem Wittgenstein die Unmöglichkeit einer privaten (Empfindungs-)Sprache und die Notwendigkeit äußerer Kriterien für das Feststellen von psychischen Sachverhalten konstatiert und damit der Konzeption des frei über seine Interpretationsleistungen verfügenden Erkenntnissubjekts eine Absage erteilt, richtet sich der Fokus der Untersuchung auf den Themenkreis der Ich-Konstitution und Subjektwerdung. Lacans Subjekttheorie dient hier als Referenzmodell, um die Frage nach dem Selbstverhältnis des Menschen, d.h. nach der Beziehung, die der Einzelne als Subjekt zu sich selbst unterhält, zu diskutieren. Dabei werden wir erfahren, inwiefern nach Lacan aus der Tatsache, dass der Mensch spricht und sich im Medium einer ihm vorgängigen, fremden Sprache, dem „großen Anderen“, denken und erkennen muss, eine irreduzible Spaltung seiner selbst resultiert. Lacans Versuch einer theoretischen Formalisierung der psychoanalytischen Erfahrung der Subversion des seiner selbst bewussten Ichs durch sein Unbewusstes wird dargestellt und vor dem Hintergrund einer eingehenden Analyse seiner Theorie der Sprache und des Sprechens aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Von besonderem Interesse wird hier seine These der sprachlichen Spaltung und Entfremdung des Subjekts sein. Ganz allgemein lässt sich die Untersuchung von der Frage leiten, welche Konsequenzen bzw. Schlüsse aus der Einsicht der Sprache als apriorische Grundlage menschlicher Erkenntnis gezogen werden (können/müssen), beziehungsweise inwieweit klassische bewusstseinsphilosophische Interpretationsansätze und Subjektivitätsparadigmen, die an der Vorstellung des „Ich“, das sich als Selbsttransparenz des Bewusstseins, als Selbstverfügbarkeit und subjektive Autonomie manifestiert, festhalten, unter ihrem Eindruck „haltbar bleiben“.