Abstract (deu)
Zu Beginn des 20. Jhd. steht die überwältigende Idee eines gemeinsamen Vielvölkerstaates. Das Existenzrecht Jugoslawiens erweist sich allerdings von Beginn an als trügerisch. Denn den Volksgemeinschaften gelingt es nicht, ihre unterschiedlichen Interessen in Einklang zu bringen. 1992 wird mit der Ausrufung der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens das Ende Jugoslawien eingeleitet. Es folgt ein erbitterter Bürgerkrieg, der vielen tausend Menschen das Leben kostet, und Millionen Heimatlos macht. In der Literatur finden sich auch rasch die Schuldigen: demnach sind es die ehemaligen Präsidenten der Teilrepubliken, die für das jugoslawische Drama verantwortlich sind. Zudem werden weitere endogene Faktoren, wie etwa Religion, Kultur, Ethnizität und der daraus entstandene Nationalismus herangezogen, um das Ende des Vielvölkerstaates zu erklären.
Könnte sich der Zerfall aber nicht auch anders zugetragen haben? Ist der failed state Jugoslawien tatsächlich einzig ein Produkt eines schwachen Staates? Oder könnte der Zerfall möglicherweise der Einverleibung des Landes als Peripherie in das „moderne Weltsystem“ voraus gegangen sein? Die angestrengte interdisziplinäre Grundlagenforschung soll möglichst objektive Antworten auf diese zwei Hauptthematiken geben. Sie soll mögliche Hintergründe und Ursachen für die Peripherisierung des Vielvölkerstaates, die hauptsächlich in der Staatsschwäche und der Abhängigkeit des Landes von den kapitalistischen Zentren vermutet werden, reflektieren. Hierbei sollen die „moderne Weltsystemtheorie“ Immanuel Wallersteins und das Konzept des „failed state“ als Haupterklärungsansätze für den Zerfall des Landes dienen.
Ein schwacher Staat ist Hauptcharakteristika einer Peripherie und Jugoslawien ist ein schwacher scheiternder Staat. Nach nur einem Jahrzehnt des wirtschaftlichen Wachstums, folgt mit dem Ende des konsensualen Fordismus die Ernüchterung: ein Rückgang der terms of trade, zunehmende Unproduktivität, fehlende Innovation, sowie wegbrechende Exportmärkte. Mit der Wirtschaftskrise traten verstärkt Verteilungskämpfe hervor, als auch die Frage über die zukünftige Regierungsform des Landes, die sich durch verstärkte föderalistische Politiken und einer allmählichen Deformierung der Staatsstrukturen manifestierte. Bei der Schwächung des Landes spielen die Eliten der Teilrepubliken eine wesentliche Rolle; diese trieben jahrelang die Dezentralisierung staatlicher Institutionen voran und formulierten persistent nationalere Politiken, da es ihnen ein Anliegen war Profit zu erwirtschaften, was mit einer sozialistischen Wirtschaftspolitik und ihren marktwirtschaftlichen Einschränkungen freilich undenkbar wäre. Besonders mit der Verfassungsreform von 1974, die eine endgültige Zersplitterung des Landes vorsah, sollte der Beginn des Endes des sozialistischen Projekts Jugoslawien eingeleitet werden. Um die Zerstörung des Landes in seiner Gesamtheit zu begreifen, greifen die Faktoren der ökonomischen Verteilungskämpfe und der Staatsschwäche zu kurz. Denn die Auflösung der SFRJ war auch ein Ergebnis des sich in den siebziger Jahren etablierenden neoliberalen Wirtschaftsprogramms. Die Einverleibung Jugoslawiens in das moderne Weltsystem hatte leichtes Spiel: die Existenz der sozialistische Republik war in vielerlei Hinsicht sehr früh von internationalen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen abhängig. Mit dem „Tito-Stalin-Bruch“ 1948 aber und der damit verbundenen Abkehr von der UDSSR, war das Land, um sich ökonomisch weiterzuentwickeln, alsgleich auf die Zentren angewiesen, was zu einer immer intensiveren Exportorientierung des Landes führte. Im Zuge umfassender Kreditaufnahmen in den siebziger Jahren, die Jugoslawien aufgrund des Wirtschaftseinbruchs tätigte, erzwingen die kapitalistischen Zentren eine allumfassende Liberalisierung der Ökonomie. Denn die Aufnahme von Krediten bedeutet letztendlich, die von internationalen Finanzorganisationen auferlegten Konditionen zuzustimmen, die Jugoslawien endgültig zu einer Randzone der Zentren machte.