Abstract (deu)
Das Erasmus-Programm ist der Star unter den Bildungsprojekten der Europäischen Union und gilt als kulturelles Phänomen. Auch ich kenne das „Erasmus-Gefühl”, das all jene verbinden soll, die an einem institutionalisierten Austauschprogramm teilnehmen bzw. teilgenommen haben: Man greift auf das gleiche Vokabular zurück und teilt ähnliche Erfahrungen, anscheinend unabhängig von den Ländern, in denen man gelebt hat. Diesen Prozess reflektierend, kristallisierte sich ein wesentlicher Aspekt dieses sozialen Phänomens heraus: Freundschaft. Es war mir wichtig, möglichst viele Facetten und Entwicklungsstufen von Freundschaft in meine Studie einzubeziehen und wissenschaftliche Betrachtungen mit eigenem Datenmaterial zu verknüpfen.
Das 2. Kapitel dieser Masterarbeit legt den Fokus auf die bereits existierende Literatur, die die betreffenden Themen behandelt. Freundschaft wird als die freiwilligste Form von persönlichen Beziehungen angesehen. Dabei wird oft übersehen, wie stark der Einfluss externer Umstände ist, wenn es darum geht, welche Menschen sich anfreunden und wie sie die gemeinsame Zeit gestalten. Der Blick auf Freundschaften in Hinblick auf ihren sozialen Kontext stellt deren Prozesscharakter in den Mittelpunkt. Viele Theorien stellen in unserer Kultur Entfremdung, Isolierung und einen Bedeutungsverlust von Familie und Partnerschaft fest. Angeblich wird das Leben zunehmend individualisierter und die Menschen selbstsüchtiger (diese wiederholte Anprangerung ist wahrscheinlich selbst ein Charakteristikum der Gegenwart). Gleichzeitig ist das Thema Freundschaft sehr populär in den Medien: Seifenopern, Werbung, Magazine, Bücher und Filme zeigen einen Hype der Freundschaftsrepräsentationen und das Web 2.0 wirkt daran mit, dass eine Neudefinition des Begriffs stattfindet. Trotz dieser Signifikanz im Alltag, wurde der Themenkomplex „Freundschaft“ von der Soziologie lange vernachlässigt.
Der zweite Teil des theoretischen Hintergrunds dieser Arbeit untersucht den Bereich Studierendenmobilität. Die Forcierung der internationalen Verflechtung der Hochschulen ist ein zentrales Element der europäischen Bildungspolitik der letzten Jahrzehnte. Ein wichtiger Trend in diesem Kontext ist das Bologna-Abkommen von 1999: eine Vereinbarung der Mitgliedsstaaten zur Harmonisierung der europäischen Hochschulbildung. Die Bildungspolitik der Europäischen Union manifestiert sich weiters im Erasmus-Programm, durch das seit 1987 pro-Europa-orientierte Studierende, Forschungskooperationen, Entwicklungen und Austausch gefördert werden.
Ein Auslandsaufenthalt von einem Semester oder Studienjahr ist ein außergewöhnlicher Kontext für Freundschaften. Ziel dieser Arbeit ist die Untersuchung der Erfahrungen von 65 Austauschstudierenden, die temporär in Kopenhagen oder Prag lebten. Das 3. Kapitel stellt den Forschungszugang dar, gefolgt von einer Beschreibung des methodischen Vorgehens. Um ein weites Spektrum an Perspektiven zu erzielen, wurde die Datenerhebung so offen wie möglich gehalten: Teilnehmende Beobachtung, Gruppendiskussionen und Interviews, verbunden mit Aspekten der Fotobefragung, stellen einander ergänzende qualitative Methoden dar und ermöglichten so Freundschaftserfahrungen von Austauschstudierenden besser zu verstehen. Das 5. Kapitel präsentiert die analysierten Dimensionen von Freundschaften, die nicht an das Material herangetragen, sondern aus diesem generiert wurden. Die zentralen Forschungsergebnisse werden in der Conclusion zusammengefasst.