Abstract (deu)
Das Sanatorium Purkersdorf des österreichischen Architekten Josef Hoffmann (1870-1956) ist eines der bedeutendsten Bauwerke des 20. Jahrhunderts. Trotzdem gibt es bislang keine ausführliche kunsthistorische Analyse dieses Bauwerks. Mit der vorliegenden Arbeit wird versucht, diese Lücke zu schließen.
Von Victor Zuckerkandl, einem angesehenen Mitglied der Wiener Gesellschaft, in Auftrag gegeben, wurde das Sanatorium zwischen 1904 und 1905 in Purkersdorf bei Wien errichtet. Zahlreiche Entwürfe von der Hand Josef Hoffmanns sind erhalten, aus denen sich die Planung einer stetig wachsenden Bauaufgabe und eine enorme stilistische Entwicklung ablesen lassen. War zunächst ein bescheidenes Kurhaus mit wenigen Patientenzimmern vorgesehen, entwarf Hoffmann schließlich ein imposantes Sanatorium mit zahlreichen Gesellschaftsräumen und schuf ein im Stil eines Grand Hotels gehaltenes Gebäude, das bald zum beliebten Treffpunkt für Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur wurde. Die stilistische Entwicklung der entworfenen Gebäude verläuft von einem ländlich-traditionell inspirierten Bauwerk mit mächtigem Walmdach zu einem radikal neuen, von Kuben, Quadern und geraden Linien geprägten Sanatorium mit flachem Dach, das eine Verwandtschaft mit italienischer Bauweise aufweist.
Basierend auf der formalen Analyse dieses Gebäudes lassen sich zwei konzeptuelle Hauptgedanken erkennen. Einerseits wird durch eine elegante Dekoration des weißen Gebäudes mit einem Band aus schachbrettartig verlegten blauen und weißen Fliesen, die sämtliche Wandflächen und Fensteröffnungen umrahmen, der tektonische Aufbau des Gebäudes verunklärt und die Individualität der Wände betont, sodass diese nicht als Träger von Bauschmuck erscheinen, sondern selbst zum Schmuck des durch sie geschaffenen architektonischen Raumes werden. Dies ist Voraussetzung für das Zerlegen des Hauses in scheinbar freischwebende Wand- und Deckenscheiben, wie es kennzeichnend für das Neue Bauen der 1920er Jahre wurde. Andererseits verlieh Hoffmann durch die gewählte architektonische Gestaltung der Fassaden des Sanatoriums dem Gebäude eine metaphorische Bedeutung: Die dem ankommenden Patienten zugewandte, streng symmetrische Fassade im Westen ist von einer starken horizontalen wie vertikalen Spannung gekennzeichnet, was den Gemütszustand eines nervenleidenden Patienten wiederspiegelt, während die dem Garten zugewandte korrespondierende Fassade im Osten von harmonischen und dynamisch bewegten architektonischen Elementen geprägt ist, was dem erhofften Zustand nach einer Kur im Sanatorium entspricht. Dasselbe Prinzip lässt sich im Verhältnis der Fassaden im Norden und Süden und des ursprünglich vorgesehenen plastischen Bauschmucks der Ost- und der Westfassade beobachten. Untermauert wird diese Interpretation von Hoffmanns ästhetischem Vokabular durch die Tatsache, dass er die markantesten Details der Ostfassade erst nach dem letzten bekannten Vorentwurf geändert und am ausgeführten Bauwerk verwirklicht hat und dass exakt diese formalen Details in einem 1898 publizierten Artikel, den Hoffmann mit großer Wahrscheinlichkeit kannte, mit bestimmten „Gefühlsnuancen“ wie Anspannung, Lebendigkeit oder Ruhe verbunden wurden. Daher kann angenommen werden, dass Hoffmann – inspiriert von diesen Ausführungen – bewusst einige letzte Änderungen vornahm, um mit seiner architektonischen Formensprache die beschriebene metaphorische Bedeutung zum Ausdruck zu bringen.
Das Sanatorium Purkersdorf ist ein hervorragendes Beispiel eines Gesamtkunstwerkes, bei dem die Innenausstattung fast zur Gänze von Künstlern der Wiener Werkstätte unter der Leitung von Josef Hoffmann gefertigt wurde.
Im Kontext des architektonischen Œuvres von Josef Hoffmann betrachtet, erweist sich das Sanatorium als der Höhepunkt seiner geometrisch-puristischen Schaffensperiode. Diese folgt auf eine von gekurvten, biomorphen Motiven dominierte secessionistische Phase und geht einer Hinwendung zur Gestaltung mit üppigerem Bauschmuck bzw. mit Elementen, die der klassischen Architektur entlehnt sind, voran.
Hoffmanns Sanatorium Purkersdorf leistet einen bedeutenden Beitrag und besetzt eine wichtige Zwischenstufe auf dem Weg zu der von offener Raumkonzeption gekennzeichneten Architektur der 1920er Jahre und gilt daher als eines der bedeutendsten Bauwerke des 20. Jahrhunderts, als Pionierleistung und Schlüsselwerk der Architekturgeschichte.