Abstract (deu)
Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts wurden die Prinzipien der Edition mittelalterlicher Dichtung einer verstärkten Revision unter den Schlagworten von Überlieferungskritik und New Philology unterzogen. Am Beginn des 21. Jahrhunderts drängen die Fragen nach der „richtigen“ Art, aus den oft vielen und unterschiedlichen Ausprägungen von Werken in Handschriften und frühen Drucken einen oder mehrere verlässliche Texte zu edieren, noch immer. In der kleinepischen Gattung des Märe, welche im Fokus der vorliegenden Arbeit steht, dürften die Gegebenheiten der Produktion und Reproduktion von Literatur derart gestaltet gewesen sein, dass sie sowohl in der Mündlichkeit als auch bei schriftlicher Vervielfältigung Varianz befördert haben. Die Forschung hat bald erkannt, dass oftmals unvereinbare Versionen der Werke vorliegen und zum Teil mehrere identifizierbare Autoren denselben Stoff in ähnlicher Form ausgestaltet haben. Zumeist spricht man dabei von unterschiedlichen Fassungen.
Zunächst wird auf die theoretischen Grundlagen der Edition sowie der Gattung des Märe eingegangen, bevor mit einer Untersuchung von Textstellen die variierenden Textbilder auch praktisch analysiert sowie interpretiert werden. Anhand der zwei Texte Die halbe Birne und Der Pfaffe mit der Schnur soll damit exemplarisch aufgezeigt werden, dass diese Differenz Spuren bewusster Eingriffe enthält, welche es verdienen, bei jeder Untersuchung von Märenliteratur kritisch reflektiert zu werden. Beispiele diverser anderer Mären fließen ein, um ein möglichst aussagekräftiges Ergebnis zu erreichen.
Als Zielsetzung gilt es, der verbreiteten Fassungsdefinition von Hanns Fischer ein differenziertes Instrumentarium der Analyse von in der Überlieferung variierenden Mären gegenüberzustellen, welches auf aktuellen Erkenntnissen mediävistischer Editorik und Literaturwissenschaft fußt.