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Title (deu)
Kolonialer Naturschutz und Tsetse-Kontrolle in West-Tansania, ca. 1920 - 1960
Author
Petra Steidl
Adviser
Kirsten Rüther
Assessor
Kirsten Rüther
Abstract (deu)
In den 1920ern kam es in der Rukwa-Region zu epidemischen Fällen der Schlafkrankheit (Menschliche Afrikanische Trypanosomiasis), die durch den Stich der Tsetse-Fliege übertragen wird. Die britische Kolonialadministration veranlasste im Namen der Tsetse- und Schlafkrankheitskontrolle umfangreiche Zwangsumsiedlungen und siedelte die zuvor verstreut lebende Bevölkerung konzentriert in sechs Schlafkrankensiedlungen an. Die umfassenden Umsiedlungsmaßnahmen waren Ausgangspunkt für die Transformation der Flora und Fauna im nördlichen Rukwa-Gebiet. Es entstand ein riesiges, nicht mehr permanent bewohntes und landwirtschaftlich genutztes Gebiet und die ehemaligen Siedlungsgebiete wurden rasch von den Miombo-Wäldern, der Tsetse und den Wildtieren eingenommen. Die Veränderung des Landschaftsbildes hin zu einer weiten, vermeintlich menschenleeren Wildnis erleichterte der britischen Kolonialverwaltung 1957 die Erweite-rung des bereits bestehenden Katavi Plain Game Reserve. Ebenso wie die 1957 angeglie-derte Naturschutzfläche, waren jene Gebiete, die in den 1970ern und 1990ern an dieses Naturschutzgebiet angegliedert wurden, vor den Umsiedlungsmaßnahmen der 1920er noch besiedelt gewesen. Der Naturschutzgedanke setzte sich bereits dadurch durch, dass Schlafkrankensiedlungen als Maßnahme zur Tsetse-Kontrolle ausgewählt wurden und die Dezimierung von Wild-tieren, die in der Schlafkrankheitsübertragung als Wirt fungieren, abgelehnt wurde. Ausschlaggebend dafür war die Verankerung einer politisch einflussreichen Naturschutz-lobby innerhalb des Kolonialapparates. Die Zurückdrängung von Wildtieren spielte in der britischen Tsetse- und Schlafkrankheitskontrolle keine Rolle. Zudem kam den Wildtieren durch zahlreiche Jagdgesetze Schutz zu. Diese Gesetze reglementierten ebenso wie die Bestimmungen zur Tsetse- und Schlafkrankheitsbekämpfung und die ab den 1930ern für Schlafkrankensiedlungen aufgestellten „Modernisierungspläne“ die Bewegungsfreiheit und Ressourcennutzung der Bevölkerung und verstärkten die räumliche Trennung zwischen der Bevölkerung innerhalb und den Tsetse-befallenen Miombo-Wäldern außer-halb der Schlafkrankensiedlungen. Die Kolonialadministration konnte die Tätigkeiten der Bevölkerung außerhalb der Schlafkrankensiedlungen aber zu keinem Zeitpunkt vollständig kontrollieren oder unter-binden, denn die Menschen betraten, entgegen aller Verordnungen, weiterhin die Tsetse-befallenen Miombo-Wälder. Sie brachen diese Trennung durch permanente Ansiedlungen und temporäre Tätigkeiten wie Jagen, Bienenwachssammeln oder Warentransporte auf. Die Kolonialregierung war gezwungen, auf manche Verstöße gegen Verordnungen zur Kontrolle der Ressourcennutzung, Bewegungsfreiheit und Tsetseverbreitung, durch die Abänderung dieser Regelungen zu reagieren. Dennoch konnte die Kolonialverwaltung diese Trennung zwischen den Menschen und ihrer natürlichen Umgebung mittels kolonialadministrativer Verordnungen und Eingriffe im Großen und Ganzen bis zur Unabhängigkeit aufrechterhalten. Das Bild einer vermeintlich menschenleeren Wildnis verfestigte sich im Laufe der britischen Kolonialherrschaft und manifestierte sich durch die Erweiterungen des Katavi Plain Game Reserve 1957. In den 1970ern wurde die Fläche des Katavi Plain Game Reserve verdoppelt und das Gebiet in einen National Park umgewidmet. In den 1990ern folgte eine erneute Erweiterung und das Naturschutzgebiet nimmt heute einen Großteil der von den Umsiedlungen und der Gründung von Schlaf-krankensiedlungen in den 1920ern betroffenen Gebiete ein.
Abstract (eng)
During the 1920s the Rukwa region was struck by an epidemic of sleeping sickness (human African trypanosomiasis), which is passed on by the tsetse fly. In the name of controlling the spread of both carrier animal and disease the British colonial administration initiated substantial forced resettlements, concentrating the scattered population in six sleeping sickness settlements. These comprehensive measures formed a vantage point for transforming flora and fauna in the northern Rukwa region as they resulted in a huge area that ceased to be permanently inhabited and cultivated. The abandoned settlements were soon taken over by miombo-forests, wildlife and tsetse flies. This vast, supposedly deserted wilderness facilitated the expansion of the Katavi Plain Game Reserve in 1957 as the annexed area, as well as those areas subsequently incorporated in the 1970s and 1990s, had still been inhabited in the 1920s. The notion of nature conservation was able to gain ground due to the fact that establishing sleeping sickness settlements was the method of choice for controlling the spread of the tsetse fly whereas the decimation of game, serving as host animals for trypanosomes, was rejected. The involvement of a politically highly influential conservation lobby in the colonial establishment was a determining factor, as pushing back game did not play any role in British sleeping sickness control. Furthermore, game was protected by numerous game laws, which regulated the population’s freedom of movement and resource use, reinforced by ordinances for tsetse and sleeping sickness control as well as “modernisation” programmes, which had been developed for the sleeping sickness settlements as of the 1930s. As a result, the spatial separation of the people within the sleeping sickness settlements and the tsetse-infested miombo-forests surrounding the camps was reinforced. Despite all those ordinances and regulations, people overcame this separation by re-establishing permanent settlements and pursuing temporary activities such as hunting, gathering beeswax or transporting goods in the miombo-forests. The colonial administration was not able to completely control or prevent activities beyond the sleeping sickness settlements and was thus forced to react to infringements of tsetse, sleeping sickness and resource use ordinances by modifying the laws. Still, the separation of people and their natural environment could largely be maintained with the aid of colonial ordinances and interventions until the region's independence. The notion of the protected area as a supposedly deserted wilderness was solidified in the course of the British colonial rule and became manifest in the expansion of the Katavi Plain Game Reserve in 1957. After independence the Katavi Plain Game Reserve's area was doubled and declared a national park, followed by another expansion in the 1990s.
Keywords (eng)
colonial nature conservationsleeping sicknesssleeping sickness settlementsKataviRukwaTanzaniawildlife conservationpopulation controlenvironmental history
Keywords (deu)
Kolonialer NaturschutzSchlafkrankheitSchlafkrankensiedlungenKataviRukwaTansaniaWildtierschutzBevölkerungskontrolleUmweltgeschichte
Subject (deu)
Subject (deu)
Type (deu)
Persistent identifier
https://phaidra.univie.ac.at/o:1297561
rdau:P60550 (deu)
118 S. : Kt.
Number of pages
122
Members (1)
Title (deu)
Kolonialer Naturschutz und Tsetse-Kontrolle in West-Tansania, ca. 1920 - 1960
Author
Petra Steidl
Abstract (deu)
In den 1920ern kam es in der Rukwa-Region zu epidemischen Fällen der Schlafkrankheit (Menschliche Afrikanische Trypanosomiasis), die durch den Stich der Tsetse-Fliege übertragen wird. Die britische Kolonialadministration veranlasste im Namen der Tsetse- und Schlafkrankheitskontrolle umfangreiche Zwangsumsiedlungen und siedelte die zuvor verstreut lebende Bevölkerung konzentriert in sechs Schlafkrankensiedlungen an. Die umfassenden Umsiedlungsmaßnahmen waren Ausgangspunkt für die Transformation der Flora und Fauna im nördlichen Rukwa-Gebiet. Es entstand ein riesiges, nicht mehr permanent bewohntes und landwirtschaftlich genutztes Gebiet und die ehemaligen Siedlungsgebiete wurden rasch von den Miombo-Wäldern, der Tsetse und den Wildtieren eingenommen. Die Veränderung des Landschaftsbildes hin zu einer weiten, vermeintlich menschenleeren Wildnis erleichterte der britischen Kolonialverwaltung 1957 die Erweite-rung des bereits bestehenden Katavi Plain Game Reserve. Ebenso wie die 1957 angeglie-derte Naturschutzfläche, waren jene Gebiete, die in den 1970ern und 1990ern an dieses Naturschutzgebiet angegliedert wurden, vor den Umsiedlungsmaßnahmen der 1920er noch besiedelt gewesen. Der Naturschutzgedanke setzte sich bereits dadurch durch, dass Schlafkrankensiedlungen als Maßnahme zur Tsetse-Kontrolle ausgewählt wurden und die Dezimierung von Wild-tieren, die in der Schlafkrankheitsübertragung als Wirt fungieren, abgelehnt wurde. Ausschlaggebend dafür war die Verankerung einer politisch einflussreichen Naturschutz-lobby innerhalb des Kolonialapparates. Die Zurückdrängung von Wildtieren spielte in der britischen Tsetse- und Schlafkrankheitskontrolle keine Rolle. Zudem kam den Wildtieren durch zahlreiche Jagdgesetze Schutz zu. Diese Gesetze reglementierten ebenso wie die Bestimmungen zur Tsetse- und Schlafkrankheitsbekämpfung und die ab den 1930ern für Schlafkrankensiedlungen aufgestellten „Modernisierungspläne“ die Bewegungsfreiheit und Ressourcennutzung der Bevölkerung und verstärkten die räumliche Trennung zwischen der Bevölkerung innerhalb und den Tsetse-befallenen Miombo-Wäldern außer-halb der Schlafkrankensiedlungen. Die Kolonialadministration konnte die Tätigkeiten der Bevölkerung außerhalb der Schlafkrankensiedlungen aber zu keinem Zeitpunkt vollständig kontrollieren oder unter-binden, denn die Menschen betraten, entgegen aller Verordnungen, weiterhin die Tsetse-befallenen Miombo-Wälder. Sie brachen diese Trennung durch permanente Ansiedlungen und temporäre Tätigkeiten wie Jagen, Bienenwachssammeln oder Warentransporte auf. Die Kolonialregierung war gezwungen, auf manche Verstöße gegen Verordnungen zur Kontrolle der Ressourcennutzung, Bewegungsfreiheit und Tsetseverbreitung, durch die Abänderung dieser Regelungen zu reagieren. Dennoch konnte die Kolonialverwaltung diese Trennung zwischen den Menschen und ihrer natürlichen Umgebung mittels kolonialadministrativer Verordnungen und Eingriffe im Großen und Ganzen bis zur Unabhängigkeit aufrechterhalten. Das Bild einer vermeintlich menschenleeren Wildnis verfestigte sich im Laufe der britischen Kolonialherrschaft und manifestierte sich durch die Erweiterungen des Katavi Plain Game Reserve 1957. In den 1970ern wurde die Fläche des Katavi Plain Game Reserve verdoppelt und das Gebiet in einen National Park umgewidmet. In den 1990ern folgte eine erneute Erweiterung und das Naturschutzgebiet nimmt heute einen Großteil der von den Umsiedlungen und der Gründung von Schlaf-krankensiedlungen in den 1920ern betroffenen Gebiete ein.
Abstract (eng)
During the 1920s the Rukwa region was struck by an epidemic of sleeping sickness (human African trypanosomiasis), which is passed on by the tsetse fly. In the name of controlling the spread of both carrier animal and disease the British colonial administration initiated substantial forced resettlements, concentrating the scattered population in six sleeping sickness settlements. These comprehensive measures formed a vantage point for transforming flora and fauna in the northern Rukwa region as they resulted in a huge area that ceased to be permanently inhabited and cultivated. The abandoned settlements were soon taken over by miombo-forests, wildlife and tsetse flies. This vast, supposedly deserted wilderness facilitated the expansion of the Katavi Plain Game Reserve in 1957 as the annexed area, as well as those areas subsequently incorporated in the 1970s and 1990s, had still been inhabited in the 1920s. The notion of nature conservation was able to gain ground due to the fact that establishing sleeping sickness settlements was the method of choice for controlling the spread of the tsetse fly whereas the decimation of game, serving as host animals for trypanosomes, was rejected. The involvement of a politically highly influential conservation lobby in the colonial establishment was a determining factor, as pushing back game did not play any role in British sleeping sickness control. Furthermore, game was protected by numerous game laws, which regulated the population’s freedom of movement and resource use, reinforced by ordinances for tsetse and sleeping sickness control as well as “modernisation” programmes, which had been developed for the sleeping sickness settlements as of the 1930s. As a result, the spatial separation of the people within the sleeping sickness settlements and the tsetse-infested miombo-forests surrounding the camps was reinforced. Despite all those ordinances and regulations, people overcame this separation by re-establishing permanent settlements and pursuing temporary activities such as hunting, gathering beeswax or transporting goods in the miombo-forests. The colonial administration was not able to completely control or prevent activities beyond the sleeping sickness settlements and was thus forced to react to infringements of tsetse, sleeping sickness and resource use ordinances by modifying the laws. Still, the separation of people and their natural environment could largely be maintained with the aid of colonial ordinances and interventions until the region's independence. The notion of the protected area as a supposedly deserted wilderness was solidified in the course of the British colonial rule and became manifest in the expansion of the Katavi Plain Game Reserve in 1957. After independence the Katavi Plain Game Reserve's area was doubled and declared a national park, followed by another expansion in the 1990s.
Keywords (eng)
colonial nature conservationsleeping sicknesssleeping sickness settlementsKataviRukwaTanzaniawildlife conservationpopulation controlenvironmental history
Keywords (deu)
Kolonialer NaturschutzSchlafkrankheitSchlafkrankensiedlungenKataviRukwaTansaniaWildtierschutzBevölkerungskontrolleUmweltgeschichte
Subject (deu)
Subject (deu)
Type (deu)
Persistent identifier
https://phaidra.univie.ac.at/o:1297562
Number of pages
122