Abstract (deu)
Die vorliegende Doktorarbeit beschäftigt sich mit Second Life, einer virtuellen Welt in 3D, in der jeder Spieler mittels eines elektronischen Stellvertreters ein selbstbestimmtes Leben führen kann. Durch die Möglichkeit von freigestaltbaren Avataren und dem Fehlen einer verbindlichen Narration, die Einsatz und Wirkung der Teilnehmer bestimmt, hat Second Life den Charakter einer intuitiv bespielbaren Repräsentationsbühne. Das Zusammentreffen von Gestaltungs- und Spielfreiheit erzeugt eine eigene Form von Theatralität, die untersucht wird. Zur Beantwortung der Forschungsfrage nach den Ausdrucksformen von Spiel und Theatralität in Second Life, werden die kontextspezifischen Schwerpunkte Wissens- und Informationsgesellschaft, Internet und Zivilgesellschaft, virtuelle Welten, Spielbegriffe, Computerspiel, theatrales Spiel, Theatrum Mundi und Second Life als Gegenstand im Gegenwartsdrama gewählt. Eingebettet wird die Fragebeantwortung in die Entstehungsgeschichte der technischen, sozialen und wirtschaftlichen Umweltkonstituenten, die das physische Leben verändern und das virtuelle erst ermöglichen.
Der Computer und das Internet entwickelten sich zu dem Konvergenzmittel, das reale und digitale Welt verbindet. Verbinden heißt hier mehr als nur ein Zusammenführen oder Abgleichen. Es heißt kontinuierliches Ineinander-Fließen. Die medial vermittelte Welt beginnt, sich als Wirklichkeit in Konkurrenz zu stellen mit der jenseits des Computers erfahrenen Welt. Daraus resultierend werden sozialkommunikative Strukturen virtualisiert, die ihren Ausdruck in digitalen Identitäten finden. In unterschiedlichen Ausprägungen machen diese vor allem transparent, dass das Spiel ein Grundmotiv menschlichen Handelns darstellt, wie es Helmuth Plessner und Johan Huizinga dargelegt haben. Selbstbestimmt und seinen gesellschaftlichen Status eigenwillig verwaltend gebraucht der Mensch Computer und Internet zur Darstellung seines individuellen und vergemeinschafteten, d.h. vernetzten Lebens. Der Analyseteil der Arbeit dokumentiert das mit dem Aufstieg von Social Software bzw. dem Web 2.0 und konkretisiert es am Beispiel von Second Life.
Second Life erlebte in den Jahren 2006 bis 2008 eine mediale Zuwendung, die mit dem Wort Hype beschreibbar ist. Auch nach dem Verschwinden aus der allgemeinen Wahrnehmung stieg die Zahl der Registrierungen in Second Life stetig an. Es ist das Angebot eine Welt aufzubauen, in der Anonymität zu spielen und wirtschaftliche Ziele zu verfolgen, die das Interesse an der Plattform wachhalten. Der Interaktionsraum gibt das Gefühl einer spielerischen Verbundenheit mit der ganzen Welt, die zugleich digital und physisch ist. Der Mensch nimmt die Rolle eines individualisierten Gottes ein und spielt in einem digitalen Theatrum Mundi sich und anderen etwas vor. Dabei ist Second Life kein Computergame im üblichen Sinn, weil es über eine andere Form von Gameplay verfügt. Das Leben erscheint aus der Perspektive von Second Life als ein Meta-Game, in dem die Regeln und das Ergebnis des Spiels verhandelbar sind. Die Analyse arbeitet auch die Unterschiede von realer Erlebbarkeit und Darstellung von Erfahrungen in Second Life am Beispiel zweier Bühnenwerke heraus, die sich explizit auf die 3D-Plattform beziehen.
Methodologisch berücksichtigt diese Dissertation drei Arbeitsfelder der Theaterwissenschaft: die Theaterhistoriografie, die Analyse des Spiels und die Theoriebildung.