Abstract (deu)
Dank des nationalen Gesetzes Nr. 482 zum Schutz und zur Wahrung der Minderheitensprachen aus dem Jahr 1999, ebenso dank des regionalen Gesetzes Nr. 26 zur Förderung und Aufwertung der sardischen Sprache und Kultur aus dem Jahr 1997, war es für die Region Sardinien möglich, zahlreiche Initiativen zur Förderung der sardischen Sprache im sprachenpolitischen, administrativen, kulturellen, schulischen und universitären Bereich zu realisieren. Bis zum aktuellen Zeitpunkt haben die Maßnahmen jedoch nicht den erhofften Erfolg erzielt, wie zum Beispiel die LSU (Limba Sarda Unificada) aus dem Jahr 2001 bzw. die LSC (Limba Sarda Comuna) aus dem Jahr 2006, beides Versuche das Sardische einheitlich zu verschriftlichen. Gründe für das Scheitern können folgende sein: Die Region Sardinien hat die Bewohner weder in ausreichendem Maß informiert, noch in die Erarbeitung eines Standardsardisch miteinbezogen. Diese Vorgehensweise ruft bei einem Großteil der Sarden eine Abneigung gegenüber der regionalen Regierung und deren Maßnahmen hervor. Darüber hinaus fordern die Sprecher jeweils die eigene lokale Varietät aufgrund von Authentizität und Originalität und lehnen eine andere grundsätzlich ab. Am 5. Mai 2007 wurde eine soziolinguistische Studie (Le lingue dei sardi. Una ricerca sociolinguistica. Rapporto finale a cura di Anna Oppo) präsentiert. Daraus geht hervor, dass die sardische Bevölkerung der Einführung des Sardischen in Schulen und Institutionen positiv gegenübersteht, gleichzeitig wird die besondere Notwendigkeit einer Kodifizierung deutlich. Seit der Präsentation kommt es allerdings immer wieder zu Kritik, da die Ergebnisse der Studie von den sprachenpolitischen Vertretern der Region Sardinien offensichtlich manipuliert wurden; überdies hätten genaue Daten über die Sprecherzahlen bzw. die Einstellung der Befragten zur Normativierung der sardischen Sprache bei der Erarbeitung einer Referenznorm von Nutzen sein können. Ob das Ziel also wirklich das Schaffen eines einheitlichen Schriftsardisch war, lässt an diesem Punkt Zweifel entstehen. Als Reaktion auf die Kodifzierungsvorschläge der Region Sardinien kam es zur Erarbeitung zwei weiterer Referenznormen: die LdM (Limba de Mesania) durch das Comitau „Abbia a unu sardu comunu“ im Jahr 2004 bzw. die Arrègulas durch die Provinz Cagliari im Jahr 2009. Aktuell werden die LSC und die Arrègulas im institutionellen Bereich gebraucht, was automatisch zur Frage führt, ob es in Sardinien noch möglich ist, einen einzigen Normativierungsvorschlag durchzusetzen.
Eine soziolinguistische Annäherung an das Thema ermöglicht eine genaue Betrachtung inner- und außersprachlicher Faktoren; vor allem die Betrachtung außersprachlicher Faktoren wird im Kontext der Kodifizierungsbestrebungen des Sardischen absolut notwendig, da bei Bewertungen häufig historische, politische, ideologische oder ökonomische Aspekte entscheidend waren bzw. sind. Demnach werden in der vorliegenden Arbeit alle Maßnahmen im Rahmen der Kodifizierungsbestrebungen Sardiniens und der damit in Verbindung stehenden sprachenpolitischen und soziolinguistischen Initiativen analysiert.
Grundsätzlich ist die Diskussion zu den Kodifizierungsbestrebungen von umfassender Kritik und Polemik gekennzeichnet. Gleichzeitig lässt sich bei den Sarden ein langsamer Prozess der Bewusstseinsveränderung in Bezug auf die sprachliche Situation beobachten; soziolinguistische und sprachenpolitische Maßnahmen unterstützen diesen langwierigen Prozess. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit bestätigen, dass eine isolierte Betrachtung von Sprache nicht möglich ist, da außersprachliche Elemente bei den Normativierungsbestrebungen in Sardinien ein große Rolle spielen; es sind vor allem politische Faktoren, die den soziolinguistischen Kurs bestimmen.