Abstract (deu)
Um den englischen Dramatiker Christopher Marlowe entstanden seit seinem frühen Tod 1593 viele Gerüchte. Er war in Verdacht geraten, atheistische Ideen zu vertreten, eine An-klage, die im elisabethanischen England Hochverrat gleichkam. Unmittelbare Überlieferun-gen stammten hauptsächlich aus puritanischen Federn, die sein gewaltsames Ende als göttli-che Gerechtigkeit darstellten. Nachdem er in Vergessenheit geraten war, begann man Mitte des 18. Jahrhunderts wieder auf ihn aufmerksam zu werden. Seit Beginn des 19. Jahrhun-derts erfuhr er große Wertschätzung und Neugierde. Sein Versepos „Hero and Leander“ so-wie sein Historiendrama „Edward II“ wurden gelobt. Die Romantiker fingen an, ihn neu zu gestalten und den Vorstellungen ihrer eigenen Epoche entsprechend, zu idealisieren. Dieses Bild hat sich bis heute erhalten. Sein zwielichtiger Ruf und das Rätsel um seinen Tod gaben Anlass zu Spekulationen und erst im 20. Jahrhundert konnte man durch geduldiges Forschen einiges aufklären. Aber je mehr man über diesen Dichter herausfand, umso mehr Fragen er-gaben sich. Immer noch versuchen Marlowe-Forscher seinen Geheimnissen auf die Spur zu kommen und übermitteln ihre Ergebnisse in sehr unterschiedlichen Theorien. Während es einerseits sehr kritische Darstellungen gibt, die daran erinnern, dass vieles immer nur Mut-maßung bleiben wird, stehen diesen andererseits Werke gegenüber, in welchen mit Be-stimmtheit erklärt wird, wie es war. Spekulationen, die als solche nicht erkennbar sind, ma-chen Marlowes Biografie zur Fiktion.
Ob Fakt oder Fiktion, Wahrheit oder Spekulation, darauf geht meine vorliegende Arbeit ein. Ausgehend von der postmodernen Idee der gänzlichen Aufhebung dieser Unterscheidung, steht am Beginn ein Ausflug in die Geschichte, ein Rückblick, um dem Stellenwert der Überlieferung von Wahrheit nachzugehen. So, wie man auch an Marlowes Biografie erken-nen kann, wollte man im 16. Jahrhundert noch anhand von Lebensgeschichten Beispiele für göttliche Gerechtigkeit veranschaulichen, bis man später akzeptierte, dass der Mensch für sein Schicksal alleine die Verantwortung trägt. Und während man einerseits zu fordern be-gann, „zu zeigen, wie es wirklich gewesen ist“, gab es andererseits auch immer Historiker, die eine literarische Ausschmückung gegenüber dieser trockenen Methodik vorzogen. Die Problematik, ob in einer Biografie, die über eine Chronologie der aufgelisteten Tatsachen hinausgeht, die Unterscheidung zwischen Fakt und Fiktion wirklich deutlich gemacht wer-den kann, spiegelt sich auch in historischen Überlieferungen über Marlowe und in der Suche nach seinen hinterlassenen Spuren.