Abstract (deu)
Die sich stets weiter in den arktischen Norden verlagernden Abbaugebiete von Erdöl und Erdgas erfordern die zunehmende Anwendung des Fernpendelns zur Arbeitskräftebereitstellung in abgelegenen Ressourcenperipherien in Russland. Die vorliegende Dissertation ist eine explorative Forschung, die zur Schließung einer beachtlichen Lücke in der internationalen Erforschung des Fernpendelns beitragen soll. In öffentlichen Diskursen sowie teilweise auch im akademischen Bereich wird Fernpendeln vielfach als eine nur schwer erträgliche und sozial problematische Form des Erwerbslebens konzipiert. Insbesondere ist dies der Fall hinsichtlich der Bereiche von Interaktion der FernpendlerInnen mit den Anrainergesellschaften in den Rohstoffregionen sowie hinsichtlich des Bereiches Familienleben. Daraus resultiert, dass das Leben als FernpendlerIn oftmals als abnormal verstanden wird. Meine Forschung bei mobil und multilokal lebenden FernpendlerInnen im west-sibirischen, subarktischen Norden Russlands zeigt allerdings, dass diese Gruppe sich aus den unterschiedlichsten Typen von Menschen zusammensetzt, die aufgrund von Gender, Alter und beruflichen Positionen sowie hinsichtlich ihrer Vorstellungen, Werte und Ideen different sind. Im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehen die diversifizierten Konzeptionen von Normalität und Normalisierung dieses Lebensstiles, welcher sich durch die Formen der sozialen Gestaltung der Sphären des Zuhause – der Reise – der Schicht begründet. Im Fokus des Forschungsinteresses stehen die Wege der Bewerkstelligung der Integration und Verhandlung dieser divergierenden, getrennten, aber ebenso stets verbundenen bedeutungsvollen Lebenssphären.
Die empirische Forschung basiert auf qualitativer Ethnographie in einem mobilen und multiplen Feld, das die Zentralregionen und den Norden Russlands umschließt. Die theoretische Einbettung kreist um Themen der Mobilität und Multilokalität, des sozialen Raumes, des sich Orte Schaffens, der sozialer Differenz, der Normalisierung und der Interaktion von Menschen mit ihrer materiellen Welt. Basierend auf Forschung auf der Mikroebene und ihrer Einbettung in ein globales politisches und ökonomisches Gefüge zeigt die Arbeit Einsichten in die heutige Gesellschaft in Russland. Die Ergebnisse zeigen, dass FernpendlerInnen nicht in einem sozialen Vakuum leben, sondern so different sind, wie es die Mehrheitsgesellschaft ist. Daher sollten mobile Beschäftigte weniger als statische Humanressource betrachtet werden, sondern vielmehr als aktive, reflektierte TeilhaberInnen der Petroleumindustrie, die klare Vorstellungen von der Ausgestaltung des Fernpendelns und eines solchen Lebens haben. Nur so können sie als GesprächspartnerInnen wertvolle Beiträge zur Weiterentwicklung dieser Arbeitskräftebereitstellungsmethode liefern.