Abstract (deu)
Komplexes Sozialleben gilt als eine der Haupttriebkräfte für die Entwicklung von Intelligenz bei Vertebraten. Vögel und Säuger unterscheiden sich jedoch fundamental hinsichtlich wichtiger sozialstruktureller Parameter wie Gruppenstabilität oder Wahl der Bindungspartner, was den Vergleich von sozialer Komplexität bei Säugern und Vögeln erschwert. Ich untersuchte die sozialen Bindungen innerhalb einer individuell markierten wilden Kolkrabenpopulation, der ein Wildpark in den österreichischen Alpen zur Nahrungssuche dient. Zunächst ermittelte ich die Beständigkeit von Gruppenmitgliedern und die Verhaltensmuster innerhalb von Fraß- und Sozialisationsgemeinschaften, sowie das Auftreten von affiliativen und agonistischen Verhaltensweisen zwischen den Raben. Anschließend untersuchte ich die Bindungen der wilden Raben zueinander, Vorteile und Beschränkungen dieser Bindungen, sowie das Vorkommen nepotistischer Strukturen. Zusätzlich zu den Feldstudien testete ich handaufgezogene Korviden an Touch-Screen-Computern auf ihre Fähigkeit, unbekannte Individuen visuell zu unterscheiden. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Zusammensetzung wilder Raben nur langsam über die Monate ändert und sich Individuen wiederholt treffen. Raben konnten regelmäßig in Kleingruppen von 2-5 Individuen angetroffen werden, die durch affiliative Verhaltensweisen geprägt waren. Bindungen hatten die Gestalt von Paarbeziehungen und folgten Seyfarth’s Rang-Attraktivitäts-Model, insofern als Raben allen Alters Kontakt zu älteren andersgeschlechtlichen Raben suchten. Raben in Beziehungen hatten eine bessere Chance, Konflikte zu gewinnen, waren jedoch auch anfälliger für Angriffe von anderen verpaarten Raben. Die Vögel hatten zum gleichen Beobachtungszeitpunkt nur einen Bindungspartner, konnten aber über die Jahre nacheinander mit unterschiedlichen Partnern angetroffen werden. Nepotismus spielte nur eine untergeordnete Rolle, war jedoch gelegentlich beobachtbar. Die am Computer getesteten Vögel konnten die unbekannten Artgenossen anhand von statischen Bildern gut unterscheiden, und konnten auch neue Bilder der gleichen Artgenossen richtig zuordnen. Alles in allem zeigen meine Studien, dass in Ansammlungen von nichtbrütenden Korviden eine für Vögel typische Fluktuation der Mitglieder herrscht, diese jedoch zur gleichen Zeit durch soziale Bindungen strukturiert ist, welche Vergleiche zu individualisierten Sozialgruppen von Säugern zulässt.