Abstract (deu)
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit einer speziellen Form der Gesprächsausbildungssituation an der Medizinischen Universität Wien. Es wurden drei Gespräche innerhalb des freien Wahlfachs Tutorium Anamnesegruppen aufgezeichnet und gesprächs- bzw. diskursanalytisch in Hinblick auf den sprachlichen Umgang mit Emotionen seitens der Studenten und Studentinnen untersucht.
Ausgangspunkt der Analyse waren Ergebnisse einer vorangegangen Studie zu den Anamnesegruppen (Lalouschek 2002a). Die damals eingebrachten Kritikpunkte (z.B. studentenzentrierte Ausrichtung und Konzeption der Lehrveranstaltung) wurden aufgegriffen und das beschriebene Spannungsfeld somatisch orientierte Ausbildung-psychosozial ausgerichtete Lehrveranstaltung neu dargestellt. Neben den eigentlichen Übungsgesprächen sind auch in Erweiterung zu Lalouscheks Untersuchung die im Anschluss stattfindenden Nachgespräche sowie gruppeninterne Reflexionen in die Analyse mit eingeflossen.
Es hat sich gezeigt, dass die interaktive Bearbeitung von emotions- und erlebensrelevanten Inhalten stark von den Unsicherheiten der Studentinnen und Studenten geprägt ist. Nach wie vor greifen diese bei der Aushandlung von Bedeutung und Erleben in erster Linie auf emotionsregulierende Bewältigungsstrategien wie Übergehen und Ignorieren oder Relevanzrückstufungen zurück. Anders als bei Lalouscheks Studie wurde aber deutlich, dass für den Erkenntnisgewinn und Lerneffekt der Studentinnen und Studenten die gruppeninternen Nachgespräche und das Feedback einen ganz wesentlichen Beitrag leisten. Hier werden erst die Zusammenhänge zwischen somatischen Beschwerden und sozialen, psychischen Faktoren in der Gruppe gemeinsam herausgearbeitet sowie die Bedeutung von individuellem Erleben der Erkrankung hervorgehoben. Diese reflexiven Herangehensweise ermöglicht eine Sensibilisierung für unbewusst ablaufende kommunikative Prozesse. Aufgrund bestimmter konzeptueller Merkmale der Lehrveranstaltung wie z.B. die niedrige hierarchische Strukturierung (Peer-Prinzip) oder auch das kontinuierliche Arbeiten in einer Kleingruppe über ein Jahr hinweg, findet ein offener und vertrauter Austausch innerhalb der Gruppe statt, der ansonsten im Rahmen der medizinischen Gesprächsausbildung kaum möglich ist.