Abstract (deu)
Hintergrund. Bisherige Studien zum Einfluss der Erziehung auf die neuronale Verarbeitung emotionaler Gesichter haben sich fast ausschließlich mit extrem abweichenden Erziehungserfahrungen auseinandergesetzt. ProbandInnen, welche emotionale und physische Misshandlung in der Kindheit erlebt hatten, zeigen beim Betrachten negativer Gesichter im Vergleich zu Kontrollpersonen eine Hyperaktivität emotionsrelevanter Strukturen. Das Erziehungsverhalten innerhalb des normalen Spektrums kann anhand der Dimensionen „Unterstützung“ und „Kontrolle“ differentiell beschrieben werden. Die vorliegende Untersuchung geht dabei der Frage nach, ob auch Variationen im normalen elterlichen Erziehungsverhalten mit Unterschieden in der Verarbeitung emotionaler Gesichter bei Jugendlichen assoziiert sind.
Methode. 57 Jugendliche im Alter von 13 bis 15 Jahren wurden mittels funktioneller Kernspintomographie untersucht. Zur Erfassung des Blood-oxygen-level-dependent (BOLD) Signals in a priori definierten Zielregionen, wie der bilateralen Amygdala, dem Hippokampus und fusiformen Gyrus, wurde ein etabliertes Gesichter-Vergleichs-Paradigma verwendet. welches bereits in vorherigen Studien zu Emotionsverarbeitung und Erziehungserfahrungen angewendet wurde. Das elterliche Erziehungsverhalten wurde durch Selbstbeurteilung der Jugendlichen mit dem „Zürcher Kurzfragebogen zum Erziehungsverhalten“ (ZKE) erfasst.
Ergebnisse. Jugendliche, die nach Selbsteinschätzung nur wenig Unterstützung durch die Eltern erhielten, zeigten bei der Verarbeitung positiver Gesichter eine höhere Aktivität in der linken Amygdala und im linken Hippokampus als Jugendliche, die sich gut unterstützt fühlten. Jugendliche, die ein größeres Ausmaß an Kontrolle durch die Eltern erlebten, zeigten bei der Verarbeitung negativer Gesichter eine verstärkte Aktivität im linken Hippokampus im Vergleich zu Jugendlichen, die wenig kontrolliert wurden.
Diskussion. Variationen im normalen Erziehungsverhalten gingen mit Unterschieden in der Verarbeitung emotionaler Gesichter auf neuronaler Ebene einher. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass positive soziale Reize für Jugendliche, die wenig Unterstützung erleben, besonders salient sind. Jugendliche, die ihre Eltern als kontrollierender erleben, könnten im Vergleich zu wenig kontrollierten Jugendlichen eine erhöhte Stresssensitivität aufweisen. Auffälligkeiten in den neuronalen Korrelaten der Emotionsverarbeitung könnten dabei Mediatoren für die Zusammenhänge zwischen ungünstigen Erziehungserfahrungen und Risikofaktoren für psychische Erkrankungen bei Jugendlichen darstellen.