Abstract (deu)
Im Zentrum der Untersuchung stehen Grundpositionen von Kondylis’ Philosophie, allen voran die von ihm entwickelten formal-strukturellen Kriterien, die sogenannten Denkfiguren, die er als jeweils prägende Kerngedanken aus Moderne und Postmoderne herausgearbeitet hat. Diese Denkfiguren werden auf Bildungsfragen umgelegt, wobei für die Epoche der bürgerlichen Moderne Bildungskonzeptionen von Wilhelm von Humboldt, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Alfred Petzelt sowie Friedrich Nietzsche und Theodor W. Adorno herangezogen werden. Für die Epoche der postmodernen Massendemokratie werden vorab die Begriffe Macht, Masse und Massendemokratie in Bezug zu der von Kondylis entwickelten massendemokratischen Denkfigur gesetzt. Dabei wird ein Bogen vom Entstehen primitiver archaischer Massenphänomene bis hin zur Entwicklung der Massendemokratie gespannt. Im Zuge dessen wird Kondylis‘ Konzept der Massendemokratie mit Gedanken anderer Autoren – u.a. Peter Sloterdijk und Elias Canetti – konfrontiert. Außerdem werden postmodern massendemokratische Entwicklungen, wie z. B. die Postdemokratie, neue Kommunikations- und Informationstechnologien oder die Bedeutung des Konsumieren-könnens, einbezogen. Daraus wird ein vereinfachtes Erklärungsmodell über die Entwicklungstendenz der gegenwärtigen Gesellschaft entwickelt. Demzufolge verhält sich die Gesellschaft der Massendemokratie wie eine von Elias Canetti beschriebene Fluchtmasse, die v.a. durch das Zusammenwirken der massendemokratischen Kardinaltugenden Selbstverwirklichungskonsum und Anpassungsfähigkeit geprägt ist. Die gesellschaftliche Fluchtmasse ist auf soziale und ökonomische Selbsterhaltung ausgerichtet.
Vor diesem Hintergrund werden Bildungsaspekte der Gegenwart auf Entsprechung mit der massendemokratischen Denkfigur hin untersucht. Zuerst werden massendemokratische Rahmenbedingungen, in denen Bildung stattfindet, analysiert (Forderung nach Anpassungs-fähigkeit, Lebenslanges Lernen, Bildungsreformen, Ökonomisierung des Bildungswesens, Humankapital-Theorie, Wissensgellschaft etc.). Daran anschließend werden Bildungskonzepte der Gegenwart (Lebensnähe, Anschaulichkeit, Blended Learning, Ganzheitlichkeit, Coaching, Partnerschaftlichkeit, Projekte etc.) behandelt.
Abschließend wird der Versuch unternommen, den Begriff »Massendemokratische Bildung« fasslich zu machen. Demzufolge orientiert sich diese am Bildungsziel Anpassungsfähigkeit, dessen Idealbild eine Erziehung zur Gestaltlosigkeit darstellt. Sie wird von einer Allianz von Kybernetik und Ökonomie dominiert und ist der Prozess, der einerseits den Einzelnen für eine erfolgreiche Behauptung am Arbeitsmarkt befähigen soll, und andererseits die Massen für ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit aufbereitet. Massendemokratische Bildung tendiert zur Verdinglichung des Menschen. Massendemokratische Bildung operiert mit einem Wissen, das vom Anspruch auf Wahrheit und Erkenntnis entkoppelt wurde und dergestalt Zahlen, Daten, Fakten, Sachverhalte, Kompetenzen, Skills und Informationen anlassentsprechend kombinieren kann. Massendemokratische Bildung ist ein Prozess des lebenslangen Lernens und Selbstengagements, wobei der Erwerb von anwendungsorientierten Kenntnissen und Kompetenzen im Fokus steht. Sie ist vom Leistungs- und vom Gleichheitsprinzip durchdrungen. Massendemokratische Bildung folgt dem postmodernen Primat des Bildes und bevorzugt Sichtbarkeit, die eine outputorientierte Kontrolle begünstigt. Sie verfügt über zwei Triebfedern: dem Streben nach konsumorientierter Selbstverwirklichung und der Überwindung der sozioökonomischen Todesfurcht. Massendemokratische Bildung huldigt dem Wettbewerb als primäre Motivation und zielt auf eine Haltung ab, deren Vermittlung weitgehend über Sozialisierung erfolgt. Im Vordergrund stehen nicht Inhalte, sondern sozialisierende Prozessabläufe, deren Leitthemen Lebensnähe, Ganzheitlichkeit und Anschaulichkeit sind. Massendemokratische Bildung dient letztendlich zur Domestikation der Massen, indem es als Prophylaktikum gegen jegliche Formen abweichenden Verhaltens der Massenmenschen wirkt.