Abstract (deu)
Die vorliegende Dissertation untersucht partizipatorische Un-/Gleichheit, frei definiert als die Beziehung zwischen politischer Partizipation und sozialer Stratifikation, im Kontext eines alterierenden bürgerlichen Aktivismus. Dabei soll folgende Frage beantwortet werden: Wie gestaltet sich partizipatorische Un-/Gleichheit angesichts der jüngsten Veränderungen politischer Handlungsrepertoires? Zu diesem Zweck behandle ich drei spezifische Forschungsaufgaben.
Eine erste, konzeptuelle Aufgabe lautet, ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, welche Art von Veränderungen im Bereich der politischen Partizipation beobachtet werden können. Differenziert man zwischen konstanten und variablen Elementen der Beteiligung, so findet man Hinweise auf eine Diversifizierung politischer Handlungsrepertoires mit einer sinkenden Nachfrage nach institutionalisierten und einer steigenden Nachfrage nach nicht-institutionalisierten Partizipationsformen.
Eine zweite, theoretische Aufgabe dieser Dissertation ist die Beantwortung der Fragen (a) warum partizipatorische Un-/Gleichheit überhaupt als problematisch/notwendig für demokratische Entscheidungsfindung gelten soll und (b) wie partizipatorische Un-/Gleichheit adäquat in empirischen Studien erfasst werden kann. In der Analyse dreier demokratietheoretischer Zugänge – demokratischer Elitismus, Partizipationismus, prozeduralistischer Pluralismus – zeigt sich, dass nur der letztgenannte Zugang, der gleiche Partizipation als Repräsentativität von Interessen betrachtet, in der Lage ist, eine normative Rechtfertigung partizipatorischer Gleichheit zu liefern. Wenn gleiche Berücksichtigung von Interessen das Ziel ist, so ist die Entstehung von Interessen der Schlüssel dazu zu verstehen, wie Un-/Gleichheit empirisch erfasst werden kann. Mit Referenz auf Pierre Bourdieus Habituskonzept werden deshalb Interessen konzeptuell mit sozialer Gruppenzugehörigkeit verknüpft – mit der Schlussfolgerung, dass nur Theorien sozialer Stratifikation zur Messung partizipatorischer Un-/Gleichheit beitragen können. Folglich werden drei zeitgenössische Ansätze präsentiert, welche die weiteren Analysen anleiten: Neue Klassenmodelle, intersektionale Modelle und soziokulturelle (Milieu-)Modelle.
Um eine dritte, empirische Aufgabe entlang der Frage, ob – und falls ja, welche Art von – partizipatorische(r) Un-/Gleichheit in den verschiedenen Typen und Formen von Beteiligung existiert, bearbeiten zu können, werden diese Stratifikationsmodelle schließlich auf die politische Partizipationsforschung angewandt. Es stellt sich heraus, dass Ungleichheit im politischen Aktivismus relevant ist, und zwar unabhängig davon, welches Stratifikationsmodell als Basis der empirischen Berechnungen verwendet wird. Im Detail scheinen vor allem institutionalisierte Formen der Beteiligung wie das Wählen, die Kontaktaufnahme mit PolitikerInnen, sowie die Mitarbeit in Parteien und anderen politischen Organisationen mit der sozialen Gruppenzugehörigkeit einer Person in Zusammenhang zu stehen. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, und das bedeutet eine wesentliche Einschränkung des Befundes, wenn Klassen- oder intersektionale Modelle als Basis von Stratifikation gedacht werden. Im Unterschied dazu zeichnen sich, bei Anwendung eines soziokulturellen Stratifikationsmodells, vor allem nicht-institutionalisierte Formen des Aktivismus wie das Tragen von Abzeichen, das Unterzeichnen von Petitionen, der Besuch von Demonstrationen und die Teilnahme an Boykotten durch einen höheren Grad an partizipatorischer Ungleichheit aus.
Zum Abschluss der vorliegenden Dissertation erweitere ich noch einmal die Perspektive auf das Thema der Arbeit, indem ich einige Hinweise auf andere Forschungsbereiche an der Schnittstelle zwischen Politik und Gesellschaft gebe, die sich mit dem Phänomen, das ich als „Ungleichheitsproblem“ bezeichnen möchte, beschäftigen. Außerdem räume ich auch der Diskussion potenzieller Lösungen des Problems etwas Platz ein, bevor ich schließlich von dieser Diskussion eine zukünftige Forschungsagenda ableite.