Abstract (deu)
Die Förderung von Arbeitssicherheit ist heute mehr denn je ein wichtiges Anliegen in und für Organisationen, die häufig große Anstrengungen unternehmen, um ihre Sicherheitskultur zu verbessern. Einem ethnographischen bzw. sozialkonstruktivistischen Ansatz folgend, wurde am Fall eines mittelgroßen Industriebetriebs erforscht, vor welchem sicherheitskulturellen Hintergrund sich der Umgang mit Sicherheitsregeln vollzieht. Das Ziel der qualitativ-interpretativen Forschung galt der (Re-)Konstruktion der Sicherheitskultur, die sich insbesondere auf den Bereich der Produktion und den Umgang mit Sicherheitsregeln konzentrierte. Methodisch erfolgte die Datengenerierung aus einer aktiven Rolle mittels verdeckter teilnehmender Beobachtung.
Die Sicherheitskultur des Unternehmens lässt sich als Konstellation der zugespitzten sicherheitskulturellen Prozessphänomene „Safety by objects“, „Schuldkultur“ und der „Kultur des Ausweichens“ beschreiben. Safety by objects – Das Unternehmen organisiert Arbeitssicherheit aus einer mechanistischen Perspektive und folgt dabei im wesentlichen einem Top-down-Prinzip. Charakteristisch für das Unternehmen sind ist das ziel- und technikorientierte Vorgehen zur Herstellung und Förderung von Arbeitssicherheit, das von rigoros formalisierten personalen Verhaltenserwartungen flankiert wird. Schuldkultur – Die formale Ordnung und Technikorientierung im Hinblick auf Arbeitssicherheit befördern einen impliziten Prozess der Übertragung von Verantwortung und Schuld in Richtung des Produktionspersonals, der zugleich ein asymmetrisches Verhältnis zwischen Personen, Regeln und Arbeitsumgebung markiert. Die spezifische unternehmensinterne Kommunikation über Arbeitssicherheit macht die personalisierte Schuld öffentlich. Die Schuldkultur, die stillschweigende informelle Tradition der Selbstorganisation und stabile Kollegialitätserwartungen schaffen jene Bedingungen, die ein Ausweichen in alternative, abweichende Handlungsmuster möglich und tragfähig erscheinen lassen. Kultur des Ausweichens – Innerhalb des Systems der Produktion haben sich stillschweigende Ausweichmuster von der formalen Ordnung entwickelt, die unterschiedliche Funktionen einnehmen: Das Erlangen von Handlungsautonomie angesichts der rigiden Formalstruktur, die Verhinderung von Schuldzuschreibungen und der identitätsstiftende symbolische Widerstand gegenüber einzelnen Regeln.
Für die Organisation haben diese sowohl (indirekt) brauchbare als auch unbrauchbare Funktionen: Während das Unternehmen seine Sicherheitsziele erreichen kann, verändert sich die Sicherheitskultur kaum. Mithin stellt die vorliegende Arbeit eine Fallgeschichte für geplanten Wandel dar und zeigt sowohl die unbeabsichtigten Folgen als auch die emergente Ordnung, die sich einer Steuerung von oben entzieht.