Abstract (deu)
Die Russisch-Dolmetscher im Dritten Reich standen angesichts des Feindbildes, das die nationalsozialistische Propaganda vom soziokulturellen Kontext der UdSSR zeichnete vor einer besonderen Herausforderung. Einerseits hatten sie sich als professionelle Translatoren eingehend mit der Zielkultur auseinanderzusetzen, andererseits wurde von ihnen erwartet, dass sie der antisowjetischen ideologischen Linie des Regimes treu blie-ben. Auch sie waren der Feindpropaganda der Nationalsozialisten ausgesetzt. Die Nega-tivdarstellung der „Russen“ und des entsprechenden soziokulturellen Kontextes im au-toritären NS-Staat tritt vor allem vor dem Hintergrund des Konzepts des „Eigenen“ und des „Fremden“ nach Busse (1997) deutlich zutage.
Zwischen 1940 und 1944 erschien im Dritten Reich die sogenannte Dolmetscher-Bereitschaft, ein Periodikum, das von der Reichsfachschaft für das Dolmetscherwesen (RfD) für Translatoren herausgegeben wurde. Die Reichsfachschaft für das Dol-metscherwesen arbeitete eng mit dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Pro-paganda (RMVP) zusammen und war diesem ab 1944 vollständig unterstellt. So ist es nicht verwunderlich, dass sich in der russischen Dolmetscher-Bereitschaft tatsächlich subtile oder explizite Hinweise auf die feindliche Gesinnung der Nationalsozialisten gegenüber der Zielkultur finden.
Die russische Dolmetscher-Bereitschaft enthält bedauerlicher Weise so gut wie keine Namen von Autoren der dort abgedruckten Texte. Anhand einiger weniger Quel-lenangaben bzw. anhand des Sprachstils können diesbezüglich lediglich Vermutungen aufgestellt werden. Als für den Inhalt verantwortlicher Herausgeber wird in sämtlichen Ausgaben Otto Monien genannt, der dem RMVP nahe stand und mit dessen Person sich Winter (2012) bereits befasst.
Die russische Dolmetscher-Bereitschaft wurde in erster Linie für Translatoren konzipiert, die bei der Wehrmacht tätig waren. Dies lässt sich aus der Fülle an den darin enthaltenen rein militärischen Fachtexten ohne Bezug zum Dolmetschen oder Überset-zen schließen. Die Schulungshefte beinhalten jedoch auch Übersetzungsübungen, Sprachübungen und Glossare. Der translationspädagogische Ansatz, der in einigen prak-tischen Übungen in der Dolmetscher-Bereitschaft angewandt wird, ist stark zielkulturo-rientiert und weist durchaus Ähnlichkeiten mit der Skopos-Theorie nach Reiß &Vermeer (1984) auf. Insofern ist die Dolmetscher-Bereitschaft trotz fragwürdiger Inhalte als methodisch fortschrittlich zu bezeichnen.