Abstract (deu)
Forschungen im Zweitspracherwerb konnten eine systematische Interpretationsinkongruenz im Verständnis von englischen Subjekt-Fragesätzen zwischen deutschsprachigen Englischlernenden und L1-Englischsprachigen belegen. Das Phänomen verschwindet nicht mit wachsendem Kenntnisstand der L2-Lernenden, was die Full Transfer Full Access Hypothese unterstützt: Aufgrund der identischen Oberflächenstruktur zwischen englischen und deutschen Subjektfragen tendieren Deutschsprachige dazu, sich für die Interpretation solcher Sätze auf das Syntaxsystem ihrer Erstsprache zu verlassen und dadurch die Sätze nicht nach den tatsächlichen Syntaxregeln des Englischen zu entschlüsseln.
In der Studie hatten 15 L1-Deutschsprachige TeilnehmerInnen und einer hohen L2-Kompetenz in Englisch eine englischsprachige Interpretationsaufgabe zu lösen, während ihre Gehirnaktivität mit Elektroenzephalographie gemessen wurde. Das Ziel der Studie war, Indizien für neuronale Korrelate zu finden, die der Verarbeitung von grammatikalischen Verstößen bei Interrogativfragen in Verbindung mit einem Grammatiktransfer zwischen Erst- und Zweitsprache zugrunde liegen.
EKPs (“Ereignis-korrelierte Potentiale”) konnten nachweisen, dass bei agrammatischen Sätzen, die nicht mit dem deutschsprachigen Syntaxsystem übereinstimmen, ein höherer P600 Komponent (steht im Zusammenhang mit Vorgängen bei der Reanalyse von Syntaxverletzungen) auftritt als bei Sätzen, die im deutschsprachigen System kompatibel sind, oder bei grammatischen Sätzen. Statistische Analysen bestätigten, dass sowohl Grammatikalität als auch Kompatibilität unabhängige Faktoren darstellen, welche die Amplitude der neuronalen Komponenten, die mit der syntaktischen Reanalyse assoziiert werden, beeinflussen.
Diese Ergebnisse stützen die Hypothese, dass L1-Deutschsprachige Grammatikverstöße in einer ähnlichen Weise wie L1-Sprecher verarbeiten (Präsenz des P600-Komponenten), ausgenommen es besteht die Möglichkeit auf das Syntaxsystem der Erstsprache zurückzugreifen. In einem solchen Fall wird der neuronale Aufwand für den Prozess der Reanalyse der englischen Syntaxverletzungen durch die Aktivierung des konkurrierenden Grammatiksystems reduziert.