Abstract (deu)
Im ersten Kapitel der Arbeit wurde primär der Frage nachgegangen, in wie weit die Zwangssituation der Inhaftierung eine erhöhte staatliche Schutzpflicht begründet. Dass ein Staat sich dafür verantwortlich zeigt, Grundrechtspositionen der Rechtsunterworfenen zu schützen, wurde letztlich sowohl in Literatur als auch Judikatur einhellig anerkannt. Zahlreiche Entscheidungen nationaler und internationaler Höchstgerichte sprechen sich für die Existenz einer staatlichen Schutzverpflichtung aus. Darüber hinaus kann in Hinblick auf die staatlich begründete Rechtseinschränkung Inhaftierter von einer gesteigerten Schutzpflicht ausgegangen werden. Diese gründet auf mehreren Gesichtspunkten. Eine mangelnde Freiwilligkeit der Rechtssituation von Haftinsassen, das dem Strafvollzug typischerweise inhärente Machtungleichgewicht sowie eine nicht vorhandene Entzugsmöglichkeit aus der die Grundrechte verletzenden Situation, können als Hauptkriterien genannt werden. Im Ergebnis konnte damit schlüssig dargestellt werden, dass – vor allem in Zusammenhang mit der speziellen Situation einer Inhaftierung – von Privaten verursachte Grundrechtsverletzungen eine gesteigerte staatliche Verantwortlichkeit begründen. Den Verletzungen ist nicht zuletzt mit repressiven Mitteln gegen die individuellen Verursacher entgegen zu treten, vielmehr kann die Existenz von präventiven – wie auch immer gearteten – staatlichen Pflichten argumentiert werden. Häufig wird eine staatliche Verantwortung in der mangelnden Organisation bestimmter, in der Hand des Staates liegender Bereiche – hier im Speziellen des Strafvollzugssystems – zu sehen sein. Jedoch auch präventive, in den Aufgabenbereich einzelner Strafvollzugsbeamter fallende Schutzpflichten sind denkbar. Schließlich konnten gegen Ende des letzten Kapitels die Vorteile der Geltendmachung einer Schutzpflichtverletzung vor dem EGMR herausgearbeitet werden.
In Kapitel 2 der Arbeit galt es das System Strafvollzug kritisch zu hinterfragen, mögliche Mängel aufzuzeigen und deren Vereinbarkeit mit nationalen und internationalen Bestimmungen zu prüfen. Hinsichtlich relevanter Problemstellungen, die sich aus meiner Sicht als für den vielerorts vorherrschenden Verwahrvollzug hauptverantwortlich zeigen, konnten beispielsweise in mangelnden Beschäftigungsmöglichkeiten und Sportangebot, frühen Einschlusszeiten, der Ausstattung der Zellen sowie einer ungeeigneten Belegung beschrieben werden. Jeder dieser Punkte wurde auf seine Vereinbarkeit mit dem obersten Strafzweck, der Resozialisierung, geprüft. Darüber hinaus konnte eine Steigerung der Aggressivität der Haftinsassen und damit gehäuftes Vorkommen von Gewalt in Haft auf Grund vorstehend genannter Mängel schlüssig argumentiert werden. Eine diesbezügliche Kausalität einzelner Punkte wird man freilich schwer nachweisen können. Dennoch konnte in der Arbeit dargelegt werden, dass ein Zusammenspiel dieser als Probleme des Strafvollzugssystems deklarierten Punkte die Aggressionsbereitschaft der Insassen in negativer Weise beeinflusst und damit zu gewalttätigen Aktionen der Haftinsassen beiträgt. Liegt eine Verletzung von Menschenrechten auf Grund einzelner strafvollzuglicher Mängel nicht vor, so könnte man argumentierten, dass eine Kombination der oben angeführten Probleme die Gewaltbereitschaft der Insassen erhöht und damit im Ergebnis zu einer staatlichen Schutzpflichtverletzung gelangen. Die Verantwortung des Staates würde diesfalls in der mangelhaften Organisation des Vollzuges liegen. Ob das Zusammenspiel dieser Faktoren der Behauptung einer Schutzpflichtverletzung vor dem EGMR tatsächlich standhalten würde, müsste – wie so häufig in der Rechtsprechung – im Klageweg erprobt werden. Lediglich Anhaltspunkte dafür konnten in der Arbeit vorgebracht werden.
Den konkreten erörterten Problemstellungen wurde eine grundsätzliche Antinomie der Strafzwecke übergeordnet. Das Konzept des Vollzuges gerät ins Wanken, stellt man es dem primären Strafzweck, der Resozialisierung gegenüber. Ein Mehr an Sicherheit, an Verwahrung, wirkt sich in negativer Weise auf den Resozialisierungsfortschritt der Inhaftierten aus. Als Folge dessen müssen wiederum Sicherheitsmaßnahmen und Haftplatzangebote erweitert werden. Die berühmte „Katze beißt sich in den Schwanz“. Freilich verlangt der Fokus auf eine Resozialisierung des Täters ein gewisses Maß an Risiko. Dessen müssen sich Verantwortliche des Strafvollzuges, letztlich aber auch die Gesellschaft insgesamt bewusst werden. Es bedarf eines Umdenkens von Seiten der Entscheidungsträger wie auch der Bevölkerung. Eine Propagierung des Resozialisierungsgedanken, bei gleichzeitiger Beibehaltung des Verwahrvollzuges trägt zur Lösung des Spannungsverhältnisses zwischen den einzelnen Vollzugszwecken des § 20 StVG jedenfalls in keinster Weise bei. Mit dem Titel des Punktes 7.4 – „Ein Leben in Unselbstständigkeit oder zur Selbstständigkeit erziehen“ – sollte die beschriebene Antinomie der Strafzwecke in prägnanter Weise zum Ausdruck kommen.
Schließlich wurde im letzten Teil der Arbeit auf bedeutende Rechtsschutzeinrichtungen des Strafvollzuges eingegangen. Nationale Präventionsmechanismen – aus österreichischer Sicht in Form der Institution der Volksanwaltschaft – nehmen wichtige Monitoringaufgaben wahr. Sie bilden ein entscheidendes Verbindungsglied zwischen internationalen und nationalen Institutionen und sollen dabei helfen, lokale Gegebenheiten bestmöglich an internationalen Standards auszurichten. Die Volksanwaltschaft führt regelmäßig Besuche in Haftanstalten durch und berichtet der parlamentarischen Vertretung über ihre Wahrnehmungen. Obgleich sie nicht über die politische wie gesetzliche Macht verfügt, strukturelle Änderungen herbeizuführen, kann das Monitoringsystem in Form der NPM als großer Schritt in Richtung effektiver, präventiver Grundrechtskontrolle gewertet werden.
Als zweiter Pfeiler des strafvollzuglichen Rechtsschutzsystems wurde in der Arbeit auf die im StVG normierten, repressiven Beschwerdemechanismen eingegangen. Diese haben durch das Verwaltungsrechtsänderungsgesetz 2012 eine bedeutende Neuerung erfahren. Mittels der aus der Sicht der Inhaftierten ungleich gewichtigeren Möglichkeit der Rechtsbeschwerde wird – im Unterschied zur in § 122 StVG geregelten Aufsichtsbeschwerde – seit 1. Jänner 2014 der ordentliche Rechtsweg beschritten. Damit kam es zu einem Abgehen vom fundamentalen Prinzip der Gewaltenteilung. Obgleich man dadurch den von Artikel 6 EMRK geforderten Standards vollends gerecht wird, hat diese Novelle eine aus verfassungsrechtlicher Sicht bedenkliche Änderung mit sich gebracht. Der Rechtszug zum Verfassungsgerichtshof wurde durch die Inanspruchnahme der ordentlichen Gerichte abgeschnitten. Damit bleibt Inhaftierten, die eine Verletzung subjektiver Rechte geltend machen, lediglich der Weg nach Straßburg offen. Auf diesbezügliche Bedenken wurde in der Arbeit hingewiesen. Auch die praktische Bedeutung und Effektivität des nationalen Beschwerdesystems wurde vorangehend erörtert.
Trotzdem darf der Stellenwert des EGMR für den Bereich des Menschenrechtsschutzes im Strafvollzug nicht verkannt werden. Nicht allein eine Verletzung eines Abwehrrechtes durch staatliches Handeln kann vor dem europäischen Gerichtshof geltend gemacht werden. Es soll auf die im ersten Kapitel ausführlich erörterte Möglichkeit der Beschwerde gegen Grundrechtseingriffe von dritter Seite, hingewiesen werden. In Form der ausführlich erörterten „Schutzpflichtenbeschwerde“ können Staaten in Hinblick auf die Verletzung ihrer staatlichen Verpflichtungen zur Verantwortung gezogen werden.
Inwieweit die Möglichkeit dieser Klage ein effektives Rechtsinstrument darstellt, das Häftlingen selbst zur Durchsetzung ihrer Rechte verhilft und mit Hilfe dessen dem vorherrschenden Verwahrvollzug entgegenwirken kann, soll dahingestellt bleiben. Immerhin wäre die staatliche Schutzpflicht aber auch im Rahmen einer Staatenbeschwerde nach Artikel 33 EMRK einzubringen. Diese Möglichkeit sollte im Sinne eines globalen Eintretens für den Menschenrechtsschutz erwogen werden. Nationale und internationale Akzeptanz für das Bestehen eines derartigen Rechtsinstruments liegt jedenfalls vor. Die präventive Wirkung, der eine derart gelagerte Klage vorangeht, sollte nicht unterschätzt werden. Damit können bereits eine formale Existenz und die Möglichkeit der effektiven Durchsetzung einer staatlichen Verpflichtung als gelungener Beitrag zum internationalen Menschenrechtsschutz betrachtet werden.
Nicht zuletzt auf Grund der vorherrschenden Aktualität und der medialen Präsenz dieses Themas darf man gespannt sein, ob Staaten vom Rechtsinstrument der „Schutzpflichtenbeschwerde“ Gebrauch machen werden und in welche Richtung sich die Vollzugssituation bewegen wird.