Abstract (deu)
Studien im Bereich der Science and Technology Studies haben herausgearbeitet, inwiefern technowissenschaftliche ntwicklungen und Politiken spezifisch nationale Formen annehmen können, ein Umstand, der in Bezug auf die Geschichte der Atomenergie in Österreich eher vernachlässigt worden ist. Diesbezüglich wurde herausgearbeitet, dass in Österreich als Resultat der Auseinandersetzungen um die Nichtinbetriebnahme des AKW Zwentendorf (1978) und die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl (1986) eine technopolitische Identität herausgebildet wurde, die sich weitestgehend rund um die Ablehnung von Nukleartechnologien konstituiert. Vor diesem Hintergrund wird die Phase der Begeisterung rund um Atomenergie in Österreich oft nur aus Blickwinkeln thematisiert, die sich vorrangig um die "Auflehnung der ÖsterreicherInnen" gegen die Atomenergie drehen, durch welche die heute als unvernünftig bewerteten Versprechen und Zukunftsvorstellungen rund um die Atomenergie zurückgewiesen wurden. Auf der anderen Seite verweisen historische Forschungen klar auf eine lange Tradition der Nuklearforschung und Nuklearpolitik in Österreich, die erst im Laufe der 1970er Jahre in Frage gestellt wurden.
Ausgehend von dieser Diskrepanz untersucht die vorliegende Masterarbeit die gesell- schaftliche Aneignung des "Atomzeitalters" in Österreich Mitte der 1950er Jahre. Die Atoms for Peace Rede des US Präsident Dwight D. Eisenhower vor der UN Generalversammlung markierte einen neuen Höhepunkt in der globalen Euphorie rund um die Atomenergie. Die Arbeit untersucht die anschließenden Entwicklungen in Österreich bis Ende 1955, insbesondere die Gründung der beratenden Regierungskommission für Atomenergie und die Teilnahme Österreichs an der UN Konferenz über die friedliche Auswertung der Atomenergie in Genf, und ermöglicht eine genauere Betrachtung der Verwicklungen von nationaler Identität/Kollektivität und unterschiedlicher Zukunftsvorstellungen rund um die Atomenergie in Österreich.
Unter Bezugnahme auf die Konzepte "appropriation" und "coproduction of scientific/ natural and social orders" stellt die Arbeit die Frage, wie Hoffnungen und Erwartungen rund um die Atomenergie im Österreich der 1950er Jahre wahrgenommen, produziert und geformt wurden. Mit Hilfe der Begriffe "technopolitical cultures" und "sociotechnical imaginaries" werden Imaginationen rund um Atomenergie und Nukleartechnologien in den Blick genommen, indem Archivmaterial der Österreichischen Atomenergiekommission und weitere Quellen im Rahmen einer "situational analysis" beleuchtet werden. Der Fokus liegt hierbei auf der Koproduktion und Mobilisierung von nationaler Identität sowie von unterschiedlichen Zukunftsvorstellungen, wie etwa Versprechen, Erwartungshaltungen, Szenarien und so genannten "trajectories". Anschließend wird festgemacht inwiefern diese technopolitischen Anstrengungen innerhalb des austrokorporatischen Rahmens situiert waren, wie eine positive Einstellung zur Nukleartechnologie auf unterschiedlichen Ebenen mit "österreichisch sein" verschränkt war, während die Zukunft als zentrale Argumentationsresource und wichtiger Imaginationsraum herausgearbeitet und analysiert wird.
Dies ermöglicht schließlich eine genauere Charakterisierung des "sociotechnical imaginary" in welchem die Atomenergie in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine wichtige Rolle spielte. Dieses drehte sich maßgeblich um die Beherrschung von Großtechnologien wie der Wasserkraft (z.B. Kaprun), den Wiederaufbau und ein "innovation trajectory" rund um lektrizitätserzeugung und -konsumption. Abschließend werden einige Schlussfolgerungen in Bezug auf weitere Forschungen zur gegenwärtige Ablehnung der Atomenergie in Österreich diskutiert.