Abstract (deu)
Die akademische Psychologie widmet sich hauptsächlich der Erforschung des rationalen Bewusstseins, während andere Formen des Bewusstseins zunächst und zumeist als ‚veränderte Bewusstseinszustände‘ marginalisiert werden. Die Bezeichnung ‚veränderter Bewusstseinszustand‘ reproduziert laufend: erstens die Setzung des rationalen Bewusstseins als eine primäre Gegebenheit; zweitens die Fixierung eines (Bewusstseins)Prozesses auf einen Zustand; drittens die Irreführung, etwas als ‚verändert‘ zu bezeichnen, das sich erst durch fortwährende Veränderung konstituiert; viertens eine Dichotomisierung in ‚verändert‘ und ‚normal‘, wodurch die laufende Herstellung des rationalen Bewusstseins verschleiert wird; und fünftens, wird nicht-rationales Bewusstsein dadurch als epistemisch geringwertig, zu rechtfertigend und abweichend nahegelegt. Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag zur Lösung dieser Probleme leisten, indem auf zentrale Aspekte von Niklas Luhmanns Systemtheorie und auf den Grundbegriff der Liminalität fokussiert wird, welche dann zu einer neuen Theorie des nicht-rationalen Bewusstseins kombiniert werden. Der in dieser Arbeit entwickelte Terminus ‚Liminales Bewusstsein‘ bezeichnet jene Arten des Bewusstseins, in denen es sich weniger stark an Bezugspunkten orientiert und sich dem Grenzwert der (vorübergehenden) Unterlassung seiner Autopoiesis annähert. Dieses Konzept ist dabei nicht als dichotome Kategorie gedacht, sondern als Kontinuum zunehmender Reproduktionsunterlassung von Selbstreferenzstrukturen. Es werden drei grundsätzliche Möglichkeiten identifiziert, die zu liminalem Bewusstsein führen können: ein Fokus auf Selbstreferenz, ein Fokus auf Fremdreferenz und ein Kurzschließen der Aufmerksamkeit auf das Ereignen von Gedanken. In diesem Rahmen lassen sich viele Arten des Bewusstseins, die etwa durch ekstatische oder meditative Praktiken begünstigt werden, konzeptualisieren, ohne auf religiöse, reduktionistische oder mystische Begrifflichkeiten angewiesen zu sein. Es wird vorgeschlagen nicht länger von ‚veränderten Bewusstseinszuständen‘, sondern besser von ‚liminalem Bewusstsein‘ zu sprechen, um die Anschlussfähigkeit von Kommunikationen im Wissenschaftssystem zu erhöhen.