Abstract (deu)
Linguistische Theorien des 20. Jahrhunderts entwarfen abstrakte und rein symbolische Einheiten ohne motorische- oder akustische Eigenschaften um Sprachlaute zu kategorisieren und zu beschreiben. Diese Idee wurde auch in Teildisziplinen wie der klinischen Neurolinguistik übernommen. Wörter werden demnach als lineare Ketten von abstrakten Segmenten beschrieben, die durch amodale, phonologische Einheiten kognitiv repräsentiert und anschließend durch motorisch - artikulatorische Mechanismen ausdifferenziert werden. Moderne neurophonetische Theorien versuchen diesen dualistischen Ansatz zu überwinden.
Neurogene Sprachstörungen bieten die Möglichkeit diese Schnittstelle zu beobachten. Zwei Syndrome sind von besonderem Interesse: Die Sprechapraxie (AOS) und die Leitungsaphasie (CA). Beide treten nach Schlaganfällen in den linken Zerebralarterien auf und betreffen sprachrelevante Regionen. AOS ist eine Störung der sprechmotorischen Planung, während bei CA traditionell die lexikalisch- und postlexikalisch-phonologische Enkodierung gestört ist. Diese Studie versucht einen Einblick in die kognitive Realität phonetisch-phonologischer Mechanismen anhand eines Nachsprechexperiments zu geben.
Methoden
Jeweils drei TeilnehmerInnen mit AOS und CA und drei gesunde SprecherInnen werden mit einem Nachsprechexperiment unter zwei zufällig geordneten Bedingungen konfrontiert: Eine mit schneller Sprechgeschwindigkeit bei salopper Artikulation (d.h. hypospeech / casual - Bedingung) und eine mit reduzierter Sprechgeschwindigkeit bei sorgfältiger Artikulation (hyperspeech / careful Bedingung). Die Stimuli bestehen aus zweisilbigen, initial-betonten (d.h. trochäischen) Worten mit unterschiedlichen phonetischen Eigenschaften, bei denen eine natürliche Tilgung des /ə/-Lautes erwartet wird - jener am meisten verwendeten Vokal im Deutschen.
Ergebnisse und Diskussion
Die Ergebnisse bestätigen Theorien der kognitiven Neurowissenschaften und Neurophonetik und deren zugrundeliegenden Annahmen. Demnach scheinen paralinguistische Faktoren zur Sprechgeschwindigkeit kognitiver höher verarbeitet zu werden als angenommen. Sprachstörungen wie AOS und CA zeigen sich unterschiedlich sensibel bei segmentalen und suprasegmentalen Faktoren, wie in der Fähigkeit zur natürlichen Vokalreduktion. Weitere Indizien sprechen für einen kontinuierlich-phonetischen Mechanismus bei Lautelisionen bei beiden Sprachstörungen. Weitere Forschung ist notwendig, um sprachspezifische und sprachübergreifenden Variablen zu identifizieren, die die phonetische Ausdifferenzierung bestimmen.