Abstract (deu)
Die Postulierung doppelter Dissoziationen zwischen regulärer und irregulärer Verbflexion bei diversen neurologischen und genetischen Störungen löste großes Forschungsinteresse aus, so dass eine Vielzahl an Studien existiert, mit denen eine selektive Beeinträchtigung einer der beiden Flexionstypen zu be- oder widerlegen versucht wird. Die Ergebnisse von Untersuchungen der Verbflexion bei Alzheimer, Agrammatismus und Williams-Beuren-Syndrom zeigen ein recht undeutliches Bild, wobei sich eine Tendenz hin zu einem möglichen selektiven Defizit entweder der regulären oder der irregulären Flexion feststellen lässt. Jedoch bestehen diesbezüglich vor allem beim Agrammatismus und beim Williams-Beuren-Syndrom auch Gegenpositionen und die Diskussion um diese Fragestellung dauert nach wie vor an.
Doppelte Dissoziationen werden auch herangezogen, um für oder gegen bestimmte linguistische Verarbeitungsmodelle zu argumentieren und damit mehr als nur über deren Plausibilität auszusagen. Die Modelle unterscheiden sich vor allem bezüglich der Behandlung von regulären und irregulären Formen, sprich ob diese gleichermaßen gespeichert oder grammatisch berechnet werden, oder ob sie über differierende Mechanismen verarbeitet werden. Daher kann die Frage über Modelle zum Ablauf der Verbflexion in direkten Zusammenhang mit der Frage nach doppelten Dissoziationen bei patholinguistischen Auffälligkeiten gesetzt werden. Anhand der Daten aus ausgewählten Studien zu den Störungsbildern wurden die beiden gegensätzlichen Ansätze, das Dual-Route Modell und das konnektionistische Netzwerk von Joanisse und Seidenberg (1999), einander gegenübergestellt und bezüglich ihrer Vor- und Nachteile verglichen. Eine endgültige Aussage, welcher der beiden Ansätze den Prozess der Verbflexion besser erfasst, kann aufgrund der unklaren Datenlage nicht getroffen werden. Beide Ansätze weisen in ihrem Aufbau eine gewisse Plausibilität auf und können Erklärungen für einige Sachverhalte liefern. Andererseits gibt es auch Phänomene, welche sie nicht erklären können bzw. welche nicht vereinbar sind mit ihren Postulaten. Der Vergleich und die kritische Auseinandersetzung mit den Daten zeigen, dass zum einen kontrolliertere Testsituationen und zum anderen die Entwicklung flexiblerer linguistischer Modelle vonnöten sind, um den Ablauf der Verbflexion und die damit einhergehende Behandlung regulärer und irregulärer Formen weitreichender zu erläutern.