Abstract (deu)
Unter den Stimmen, die Unbehagen am Monotheismus geäußert haben, verdient Jan Assmann besondere Aufmerksamkeit. Seine Monotheismuskritik, die eine in diverse Disziplinen verzweigte Debatte ausgelöst hat, wird im ersten Teil der Arbeit rekonstruiert. Der renommierte Ägyptologe und Kulturwissenschaftler hat auf die klärungsbedürftige Tatsache hingewiesen, dass die Genese und Durchsetzung des Monotheismus in den heiligen Schriften des Judentums, des Christentums und des Islam in einer Sprache der Gewalt erzählt wird. Zugleich vertritt er die These, dass mit dem Monotheismus eine neue Form des Hasses in die Welt gekommen sei, der durch religiöse Wahrheitsansprüche motiviert werde. Die Mosaische Unterscheidung, die im Namen des einzigen Gottes alle anderen Gott als Götzen ablehnt und zunächst im Raum der Bilder getroffen wird, begründe das Gewaltpotenzial des Monotheismus.
In seinen Studien „Moses der Ägypter“ und „Religio duplex“ hat Assmann demgegenüber auf einen lange verdrängten Tiefenstrom der abendländischen Geistesgeschichte aufmerksam gemacht. Er geht von der Faszination der polytheistischen Primärreligionen, darunter besonders der ägyptischen Religion, aus, deren letztes Reifestadium der alle Religionen absorbierende spätantike Kosmotheismus ist. Im System des Kosmotheismus sind die Götter entsprechend der funktionalen Äquivalenz ihrer Zuständigkeiten ineinander übersetzbar. Der exklusive Monotheismus habe diese Übersetzbarkeit durch seinen starken Wahr-heitsanspruch und die Betonung der Gott-Welt-Unterscheidung blockiert. Da der Preis des Monotheismus, Gewalt und doktrinale Intoleranz, für Assmann zu hoch ist, votiert er mit Blick auf die interreligiöse Verständigung für eine Wiedergewinnung des kosmotheistischen Religionstyps in Form einer religio duplex.
Im zweiten Teil der Arbeit wird die von Assmann ins Spiel gebrachte Alternative der doppelten Religion hinsichtlich ihrer vermeintlich ägyptischen Ursprünge und ihrer Rezeption in der abendländischen Erinnerungsgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts analysiert. Die Griechen stellten sich die ägyptische Kultur als gespaltene vor: Abseits der öffentlichen staatstragenden Religion mit ihrem befremdlich wirkenden Götterkult, praktizierten die eingeweihten Priester eine geheime natürliche Mysterienreligion in den Substrukturen der Tempel. In diesem griechisch-ägyptischen Phantasiebild der religio duplex fanden sich Gelehrte wie John Spencer, Ralph Cudworth und William Warburton wieder. Sie alle rechneten mit einer universalen verborgenen Menschheitsreligion des All-Einen (Hen kai pan), die sich von der institutionalisierten Religion unterscheidet. Mit Carl Leonhard Reinhold, der die Selbstoffenbarungsformel am Sinai mit der Inschrift auf dem verschleierten Bild zu Sais gleichsetzte, wird die „ägyptische“ Religion zur Religion der gebildeten Aufklärung. Moses Mendelssohn weitet die Idee der religio duplex ins Kosmopolitische aus. Entsprechend einer „doppelten Mitgliedschaft“ gaben sich die Aufklärer nach außen hin als brave Christen und loyale Staatsbürger, hingen aber zugleich einer monistisch verfassten universalen Menschheitsreligion der verborgenen Wahrheit an. Auf dieser Linie sind auch die religionspolitischen Devisen von Lessings Ringparabel zu deuten, denen sich Assmann explizit anschließt. Demnach soll jeder seine Religion so praktizieren, als ob sie die wahre wäre, zugleich aber die Möglichkeit anerkennen, dass die verborgene Wahrheit, die nie „besessen“, sondern immer nur angezielt werden kann, auch bei einer anderen Religion liegen könnte.
Der dritte Teil richtet daher kritische Rückfragen in Form von Problemüberhängen an Assmanns Alternative der religio duplex. Die systematisch-theologischen Felder „Offenbarung“, „Schöpfung“ und „Eschatologie“ konturieren den Diskursrahmen. Alle Einwände knüpfen mehr oder weniger stark an das von der negativen Theologie inspirierte und von Assmann favorisierte Verborgenheitsparadigma und die monistische Dekonstruktion der Unterscheidung zwischen Gott und Welt an. Aus systematisch-theologischer Perspektive bleiben in Assmanns kosmotheistischer Intuition sowohl die göttliche als auch die menschliche Freiheit unterbestimmt. Deshalb erscheint letztlich auch der Preis des Kosmotheismus zu hoch.