Abstract (deu)
„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.“ Bereits in diesem, durch übermäßigen Gebrauch leicht abgetragenen Gemeinplatz, wird eine Vergleichbarkeit von Sprache und Bild suggeriert, die ihren Widerhall (oder ihre Vor-Formulierung) auch in den Auseinandersetzungen der Philosophie gefunden hat. Meine Forschungstätigkeit nimmt ihren Ausgang von diesen wiederholt in der Literatur auftretenden Vergleichen. Als ein Anfang empfiehlt sich das Herausstellen dessen, was unter Sprache im Folgenden zu verstehen ist. Sprache wird in diesem Textstück die Normalsprache sein. Gemeint ist also keine symbolische Formalsprache, die sich von Grund auf konstruieren lässt und deren Ziel in der Eindeutigkeit ihrer Aussagen liegt. Es wird viel eher an jene Sprache zu denken sein, um welche sich Ferdinand de Saussure in seinem Cours de linguistique générale als Forschungsgegenstand bemühte. Es gilt also die Sprache als eine ausgereifte Gegebenheit zu verstehen, die man auf ihren systemischen Charakter hin befragt und sie zugleich als etwas in der Zeit sich Veränderndes begreift. Die Geschlossenheit des Systems wird von mir als stets nur vorübergehend gewertet. Der synchronische Sprachzustand ist das augenblickliche Verweilen eines Gleichgewichts an sprachlichen Einheiten, dass von den latent die Veränderung vorantreibenden diachronischen Sprachtatsachen fortwährend untergraben und auf ein neues, momentanes Gleichgewicht hingetrieben wird. Der Flexibilität des sprachlichen Zeichens, sei es auf Seiten des Signifikats, wie auch auf Seiten des Signifikanten, soll in dieser Form Rechnung getragen werden. So wenig die beiden Bestandteile des Zeichens aus Ähnlichkeit oder Naturgegebenheit an einander gebunden sind, so wenig sind sie auch bis in alle Ewigkeit aufeinander angewiesen. Ihr Verhältnis ist veränderbar; ihre Nahtstelle womöglich prekär. Es müssen demnach die zwei verschiedenen Aspekte des Saussure´schen Zeichens eng ineinander gedacht werden. Zum Einen der Aspekt, dass das Zeichen in Lautbild und Vorstellung unterteilt wird. Und zum Anderen, dass das Zeichen als ein Ganzes in seinem Wert von der Stellung in einer Struktur von Zeichen abhängt. Anders formuliert: man muss Saussure von Anfang an so lesen, dass die theoretischen Einsätze des Poststrukturalismus als bereits im Strukturalismus angelegt gesehen werden können. Auch wenn Saussure selbst solche methodischen Zuschreibungen für sein Sprachmodell nicht benutzt hat.
Dass der oben zitierte Gemeinplatz auch eine Besserstellung des Bildes gegenüber der Sprache beabsichtigt, dürfen wir an dieser Stelle vernachlässigen. Denn die Sprachkraft des Bildes, so es denn eine gibt, hat lange unter dem Diktat der Auftraggeber und den autorisierten Betrachtern gelitten, jenem Diktat, wonach sich die Bilder durch die Kenntnis der in ihnen aufgebotenen Symbole entschlüsseln lassen. Was letztlich nur bedeutet, dass bildfremde, sprachgebundene Inhalte herangezogen wurden, um eine zweidimensionalen Fläche mit Insignien der Macht zu bevölkern und die davon gänzlich zu unterscheidende Wirkweise des Bildes zu zähmen. Erst das Aufkommen der abstrakten Moderne hat hier das kognitive Gesichtsfeld geweitet. Insofern ist der oben angeführte Gemeinplatz ein beharrlicher Hinweis des Volksmundes, dass sich Bilder stets viel eigentümlicher um unsere Aufmerksamkeit bewerben, als es das Studium der Kunstgeschichte nahe legen würde.
Diese Arbeit fördert die Vergleichbarkeit von Bild und Sprache so dann mehr auf Umwegen. Denn es liegt diesem Unterfangen das Paradox zu Grunde, dass mit einem aus den Anfängen der Linguistik entlehnten Zeichenbegriffs das Bild in seiner Artikulationsweise vor falschen sprachlichen Zugriffen geschützt werden soll. Spätestens den Bilder der Moderne könnte man es zugestehen, nicht länger als „schwache Bilder an der Leine bedeutungsschwerer Begriffe geführt {zu} werden.“ 1 Natürlich lassen sich selbst „die schweigsamsten Bilder endlos bereden“ und durch sprachliche Ekphrasen „vereindeutigen“.2 Die Philosophie hat davon ja ausführlich Gebrauch gemacht. Der Philosoph möchte dem Bild immer auf die Schliche kommen und entfernt sich im Fortgang dieser Enträtselung des Bildes immer weiter von dem, was das Bild eigentlich zu sehen gibt. Ich möchte also gegenteilig versuchen, dem Gemälde auf der sehr basalen Ebene der Flecken, Schatten und Umrisse, eine Beschreibung seiner Sinnstruktur abzuringen. Und es zeigt sich, das ein strukturalistisches Verständnis von Strukturen eine eminente Vergleichbarkeit zwischen dem Vorgang des Bedeutens in einer gewöhnlichen Sprachrealität und der Sinnkonstitution in abstrakten Gemälden heraufbeschwört. So ist es zu verstehen, wenn ich im Titel dieser Arbeit eine Annäherung an das Bild im Geiste des Saussure´schen Zeichens ankündige.
Fragen: die sich mir stellten, waren:
Kann eine Untersuchung, die sich den Bildern in erster Linie über die Begriffe von Ähnlichkeit, Abbildung oder Repräsentation nähert, der Wirkweise des abstrakten Gemäldes überhaupt jemals gerecht werden?
Wie geht das Be-deuten der einzelnen Zeichen in Sprache und Bild vor sich?
Ist die Sprachtheorie Saussures, für welche die Referenz oder Denotation seines sprachlichen Zeichens nur sekundär und für dessen Bedeutung belanglos ist, nicht dazu prädestiniert, in sich geschlossene, mitteilungslose Kunstwerke zu verstehen?
Ist das bildlich Positive womöglich stets nur vorübergehend und aus Negation gewonnen?
Bestimmt sich das sinnvolle Bild nicht in gleichem Maße über den wandelbaren Wert seiner Binnenelemente für das Ganze des Gemäldes, wie es auch für die Sprache als Ganzes und seine Zeichen gilt?
Boehm, Gottfried: Wie Bilder Sinn erzeugen - Die Macht des Zeigens, University Press, Berlin 2007